Gebundene
Ausgabe 2005, 301 S. [ISBN 978-3-86582-044-1]
|
58 Abb. (Fotos, Karten, 1 Diagramm- u. Tabellenstatistik)
|
€ 19,90 (Neuvertriebspreis inkl. Versand) über
|
bsaw.de
|
(Versand nur innerhalb von Deutschland)
|
Kapitalband 2007, 574 Seiten [ISBN 978-3-86582-589-6]
|
€ 24,90 (Neuvertriebspreis inkl. Versand) über
|
bsaw.de
|
(Versand nur innerhalb von Deutschland)
|
|
»Diese
Saga ist eine der größten Sagas, die in deutscher Sprache
verfasst
wurden...
Hier kann man nun
hören
die Erzählungen deutscher Männer, wie diese Begebenheiten vor
sich gegangen sind, und zwar von etlichen, die in Soest geboren sind,
wo
diese Ereignisse sich zugetragen haben, und die manchen Tag die
Stätten
noch unzerstört gesehen haben, wo diese Begebnisse sich
ereigneten:
wo Hǫgni (→Hagen) fiel oder Irung erschlagen ward, oder den
Schlangenturm, in
dem
König Gunnar (→Gunther) den Tod fand, und den Garten, der noch
Niflungengarten
genannt wird. Und es steht alles noch auf dieselbe Weise, wie es damals
war, als die Niflungen erschlagen wurden; auch die Tore: das
östliche
Tor, wo zuerst der Kampf sich erhob, und das westliche Tor, das Hǫgnis
Tor genannt wird, das die Niflungen in den Garten brachen; das wird
noch
alles auf dieselbe Weise benannt, wie es damals geschah. Auch solche
Männer
haben uns davon gesagt, die in Bremen und Münsterburg geboren
sind.
Keiner wusste mit Gewissheit vom Andern, doch sagten Alle auf dieselbe
Weise davon. Auch entspricht das meist dem, was alte Lieder in
deutscher
Zunge sagen, welche weise Männer gedichtet haben über die
großen
Begebenheiten, die sich in diesem Lande zutrugen.«
Þiðreks
saga. |
Nicht wenige mittelalterliche Überlieferungen
berichten
über
die Nibelungen. Heerscharen von anerkannten und selbsternannten
Nibelungenexperten
haben sich um den historischen Kern dieser Erzählungen
bemüht.
Sie mussten jedoch bald feststellen, dass sie mit einer nicht einfachen
Entwirrung von „Dichtung über Dichtung“ zu tun hatten.
Gleichwohl scheinen nur wenige Forscher mit besonders
bemerkenswerten Forschungserkenntissen
zur transparenten Entflechtung der Sage beigetragen zu haben:
Der Münchener Studienprofessor Aloys Schröfl
hat zu Beginn der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts mit seinen
Veröffentlichungen über den Urdichter
des
Liedes von der Nibelunge Nôt und die Lösung der
Nibelungenfrage einer überwiegend akademischem
Leserschaft
dargelegt, dass der erste Teil der oberdeutschen Reimdichtung über
Sigfrids Leben und Tod nicht ohne Weiteres zum zweiten Teil von der
Nibelunge(n)
Nôt – also Grimhilds Rache und Untergang der Nibelungen im
‚Hunnenland’ – aus einer inhaltlich zeitkohärenten
Gesamtvorlage für das Reimepos passen können.
Nach Schröfls umfassendem und insbesondere
Ottonische Geschichtsschreibung und Machtpolitik
berücksichtigenden Indizienkatalog über auffällige
(literar-)kulturelle
Details, die im 10. Jahrhundert hohe Ausstrahlungskraft hatten, jedoch
im 12./13. Jahrhundert bereits einen deutlich verminderten Stellenwert
aufwiesen, soll das Nibelungenlied auf einer einst vom Passauer
Bischof Pil(i)grim von Aribon initiierten Dichtung
für den ungarischen Hof beruhen. Unter geschickter Inanspruchnahme
bis in die Völkerwanderungszeit zurückreichender Ereignisse
soll nach Schröfls Folgerungen diese
frühe, jedoch als verschollen geltende Vorläuferin vom
Heldenepos – als blattstarker politischer
Flyer nach heutigem
Verständnis – vor allem dazu verwendet oder geplant worden sein,
die
südosteuropäische Christianisierung durch seinen episkopalen
Passauer
Machteinfluss voranzubringen und abzusichern.
Später, offensichtlich in der Amtszeit des als
literarischen
Mäzenen
bekannten Passauer Bischofs Wolfger von Erla, wurde der Quellenstoff
dieser
spannenden Überlieferung wiederbelebt und somit neu verfasst. In
seiner
viel gelobten hochmittelalterlichen
Versform-Epik des frühen 13. Jahrhunderts begegnen nicht wenige
literarkulturelle Details, die auf „aktuelle“ bzw. zeitgeistliche
Stoffaneignung, -assimilation
und -assemblierung zurückzuführen sind. Zur
Hauptvorlage
und hauptsächlichen Vermittlungsintention des in verschiedenen
Fassungen
(„Redaktionen“) verfügbaren Nibelungenliedes bezieht sich
Schröfl
bei der Ergründung von Urheberschaft und Motivation auf
die
in dessen Klage-Handschrift(en) zwar explizit
genannten,
jedoch von der vorherrschenden fachwissenschaftlichen Auffassung ohne
überzeugende
Argumentation als vorausgegangene Urheber ausgeschlossenen
Autoren Bischof Pilgrin von Pazzowe und seinem Meister (-Schreiber)
Kuonrat. Beide Namen wurden
bereits von Karl J. Simrock (Übertrager des Nibelungenliedes,
siehe
Vorwort 2. Aufl. 1868) mit der Blütezeit lateinischer
Klosterdichtung
und daraus hervorgegangenen literarischen Quellen in
Verbindung gebracht.
Nach textkritischen Studien der wichtigsten
Liedhandschriften aus dem 13. Jahrhundert, so über die
erzählungstopografischen
Darstellungen im Sinne einer „Ortssignatur“ des Dichters während
Kriemhilds Fahrt zu „Etzel“ durch das heutige Niederösterreich,
will der
Journalist und Sagenforscher Walter Hansen (Die
Spur des
Sängers, 1987, S.
221f.) Konrad von Fußesbrunnen als den für Wolfger
von Erla
schreibenden Verfasser detektiert haben. Diesen Chuonrat von
Fuozesbrunnen, bereits
Urheber des über 3000 Verse umfassenden Reimepos' Die
Kindheit Jesu sowie eines
„weltlichen Werks“, erkennt auch der Literaturwissenschaftler
Peter H. Andersen (Universität Straßburg) in seiner
aktuellen
literargeschichtlichen Nachlese als den wahrscheinlichsten Autor
des zu
Wolfgers Zeit geschriebenen Liedes: Nibelungenlied
und
Klage: eine niederösterreichische Doppeldichtung? in: Die Bedeutung der Rezeptionsliteratur
für Bildung und Kultur der Frühen Neuzeit (1400–1750).
Beiträge zur sechsten Arbeitstagung in St. Pölten (Mai 2019),
S. 451–510.
Nach forschungswissenschaftlichen Erkenntnissen
über die
Nibelungen- und Dietrichdichtung muss aber auch zwischen
archaischem
Vorlagenmaterial und gezielt eingebrachten Motivstrukturen in den
später
weitgehend kopistisch angefertigten Handschriften bzw. „Redaktionen“
des hochmittelalterlichen Nibelungenliedes
unterschieden werden.
Der 1994 verstorbene Germanist und Naturwissenschaftler
Heinz
Ritter
aus Schaumburg an der Weser scheint nach dem Urteil nicht weniger
Medienrezensenten
in den historischen Sagenkern gedrungen zu sein. Nach jahrzehntelangem
Studium und sorgfältigen Analysen von Quellenmaterial über
den
Stoffkreis der Nibelungen gelangte er zu den altnordischen
Handschriften
der Þiðreks saga. Deren Darstellungen können
allerdings
nicht über das historische Wirken des Ostgotenkönigs
Theoderich
d. Gr. berichten. Sie beziehen sich vielmehr, so Ritter-Schaumburg, auf
biografische
Schilderungen
über einen gleichnamigen rheinfränkischen
König der Völkerwanderungszeit.
Zum Überlieferungskomplex der Þiðreks
saga
zählen zum
einen
die in der Königlichen Bibliothek zu Stockholm aufbewahrte und in
ihren
Textausgaben mit jüngeren isländischen Handschriften
vervollständigte Membran(e)
[perg. fol.4] sowie zum anderen zwei altschwedische
Handschriften
der sog. Svava – so Ritter-Schaumburgs prägnanter Logismus
durch begriffliche Übernahme jener quelltextlich häufig
zitierten
Region,
die sich im ungefähren Zentrum des Erzählungsraums
von Þiðreks saga und altschwedischer Dietrich-Chronik
befindet. Wie er
auch in seinem 1992 erschienenen Buch Sigfrid ohne
Tarnkappe
unterstellt, dürfte schriftliches
Quellenmaterial für diese Textzeugnisse bereits in der Zeit von
Karl dem Großen vorgelegen haben, der in seinen
literarkulturellen
Großvorhaben auch für
umfangreiche bibliografische Bestandsaufnahmen gesorgt haben soll.
In dieser Veröffentlichung,
worin jedoch nicht
Grimhilds
Rache und
der Nibelungenuntergang behandelt wird, bemüht sich
Ritter-Schaumburg um
schlüssige
topografische Zuordnungen der Ereignisse über das Leben und
Sterben
eines Sigfrids, dem er den vergleichsweise
größten
literarischen Anspruch auf historische Wahrscheinlichkeit
einräumt.
Über die Bewertung der
altnordischen
Quelltexte
Ritter-Schaumburgs Stoffbehandlung der Þiðreks
saga
beruht im
Grundsatz
auf der (nicht durchweg leichten) Beantwortung der Kardinalfrage, ob
eine Historia
bzw. eine kunstvoll gestaltete hochmittelalterliche
Geschichtsüberlieferung
unter dem Licht mythologischer Erzählungen seziert werden darf
(siehe
auch Zitatbeitrag Ritter-Schaumburg
über seinen Thidrekssaga-Forschungsgrundsatz mit seiner
Position
zur Hauptkritik). Wie er insbesondere in seinen Lesungen betont hat,
mögen
kontextuell eher wenig signifikante bzw. noch eingrenzbare
zeitstilistische
Einlässe eines mehrköpfig erwiesenen mittelalterlichen
Schreibkollegiums
der ältesten Handschrift der Þiðreks saga der
frühen
wissenschaftlichen
Lehrmeinung
durchaus leichtfertig nahe gelegt haben, diese mit einer
niederdeutschen
Vorlage wahrscheinlich zu machende Übertragung als ein
grundsätzlich
wenig authentisches Sammelbecken von überwiegend zusammenhanglosen
Einzellegenden zu begreifen. Auch insoweit sieht
Ritter-Schaumburg die altnordischen/altisländischen
Handschriften
der Þiðreks saga im gemeinsamen inhaltlichen
Fahrwasser mit der Quelle der „hauptrichtungweisenden
Dietrich-Chronik“.
Gegen Ritter-Schaumburgs Erkenntnisse opponiert
allerdings die
enzyklopädische
Auffassung und somit auch die universitäre Lehrmeinung. Deren
einflussreicher
Vertreter Heinrich Beck will die Botschaft der Þiðreks saga –
entgegen
dem Eindruck ihres „naiven Lesers“(!) – vielmehr in den
Erkenntisbereich
subtiler Darstellungen einordnen. Und er will die fundamentale Position
der Germanistik zur vermeintlichen Unantastbarkeit der
Überlieferungsform
„Sage“ gegenüber Ritter-Schaumburg noch mit solchem Standpunkt
verfestigen:
Die
germanistische Sagenforschung hat längst erkannt (...),
daß
Sagentradition keine antiquarische Vermittlung ist, sondern jeweils
einer
aktuellen Aneignung entspringt.“
(Quelle: Zur Thidrekssaga-Diskussion
in:
Zeitschrift
für deutsche Philologie, 112, 1993; S. 441-448.)
Die 1989 von
Ritter-Schaumburg
vorgelegte Erstübersetzung
der altschwedischen Didriks-Chronik oder der Svava
ist in ihrer
Übertragungsgenauigkeit nicht umstritten. Für die
quellenkritische
Geschichtswissenschaft liefert er zugleich eine intertextuelle
Strukturanalyse
zwischen den Handschriften der Membrane und der Svava.
In
diesem Diskurs (S. 399–455) hinterfragt Ritter-Schaumburg
an nicht wenigen Beispielen die altwissenschaftliche Lehrmeinung
über
die Abhängigkeit der Svava von
der Þiðreks saga bzw. deren Membrane. Auch in seinem
posthum
erschienenen
Werk Der Schmied Weland analysiert und
verdeutlicht er
beispielhaft
die unterschiedliche stilistische Veranlagung beider
Überlieferungsvarianten,
indem er die zur gestalterischen Subjektivität neigenden Tendenzen
der altnordisch-isländischen Handschriften gegenüber den
altschwedischen
Quelltexten aufzeigt (vgl. Zitatauszug
zur Handschriftenpriorität aus Der Schmied
Weland).
Im Umfeld der von Ritter-Schaumburg vorgenommenen
Historizitätsbetrachtung
der Þiðreks saga, hier also unter Berücksichtigung
realitätsorientierter
zeit- und raumrelevanter Rahmenbedingungen, wurde einer
(überwiegend
terminologisch verstandenen) Folgerichtigkeit der an ihren
„Redaktionen“
entschlüsselten geografischen und ethnischen Zusammenhänge
bislang
ebenfalls kaum stichhaltig widersprochen. Bereits im Jahr 1959 hatte
William
J. Pfaff sein Buch über das gleiche Thema vorgestellt: The
Geographical
and Ethnic Names in the þiðriks Saga – A study in Germanic
heroic Legend. Auch dessen Zuschreibung eines weniger
glaubwürdigen ostgotischen Milieus für die
Titelgestalt
der Þiðreks saga führte – anhand von
lehrwissenschaftlich eher
undifferenziert herangezogener oberdeutscher Dichtung –
jedoch zwangsläufig zu unplausiblen geostrategischen
Zusammenhängen und Deutungen.
|
|
Die Nibelungen Herkunft
Die Svava und die Nibelungen, wie
Ritter-Schaumburg in seinem
1981 herausgegebenen Buch Die Nibelungen zogen nordwärts
darlegt
und schlussfolgert, haben wesentlich
|
|
andere Handlungsrahmen
und
Ortsbezüge als
die traditionelle Nibelungenüberlieferung nach dem Nibelungenlied.
Herkunftsort und Namensgebung der Nibelungen sollen sich nach den
Erkenntnissen
des Bestsellerautors auf ein Gewässer in der Voreifel beziehen:
Die
dieses Gebiet in nordöstliche Richtung durchkreuzende Neffel*,
unterstellte Namenspatin der Niflungen, entspringt in der
Nähe
von Zülpich.
|
Zülpich:
Weihertor (Verfasserfoto). Ritter-Schaumburg und die ihm folgende
kritische
Forschung lokalisieren den handschriftlich überlieferten
Nibelungensitz Verniza,
Vernica an den bis in die römische Zeit zurückreichenden
Verkehrsknotenpunkt der Heeresstraßen Köln–Trier und
Köln–Reims. |
|
|
Damit folgt Ritter-Schaumburg der Erkenntnis des Althistorikers Franz
Joseph
Mone, der aus dem Nibelungenlied vielmehr eine nach Ungarn verlegte
Etzelburg schließt. Mones namenkundliche Untersuchungen zur
wahrscheinlichsten
historischen Ursprungsregion der Nibelungen konzentrieren sich
insbesondere
auf die Neffel sowie den Bereich um Neuss, das der Frankenhistoriograf
Gregor von Tours als Nivisium überliefert hat. Das im
Süden
von Neuss gelegene Nievenheim wurde im 8. Jahrhundert als pago
Nivan-heim
niedergeschrieben und könnte somit auch – im Verbund mit anderen
im
Eifelumfeld möglichen Identifikationen – ein weiteres
etymologisches
Lokalitätsrelikt darstellen. (F. J. Mone: Untersuchungen
zur
Geschichte
der teutschen Heldensage,
1836, S. 30f.)
Mone hatte jedoch längst vor Ritter mit der Neffel und den an
ihrem Lauf liegenden Orten Zülpich
und Guntirsdorp auf die Niflungenregion hingewiesen und er
erwähnt dazu außerdem den ca. 35 km
nördlich von
Zülpich
entspringenden Gillbach, früher: Gilibach, im
mittelalterlich
beurkundeten Gebiet Giliovi
pagus, pago Gilegoui bzw. „die Gilbach“ – vgl. dazu
(oder dagegen) den
Namen des mhd. überlieferten Nibelungenstammvaters Gibich
(lat. Gibica). An diese Namen- bzw. Lautform angehängte
„-stein“-Endungen lassen sich auffälligerweise erheblich
nördlich vom oberrheinischen Worms lokalisieren, so Jakob Grimm
über verschiedentlich vergebene Reminiszenzen mit Gibichenstein
(Zeitschrift für deutsches Alterthum,
1. Bd.,
1841, S.
572–575).
Nach Mone brachte der Philologe Henri Grégoire
die
nibelungische
Ursprungsregion mit dem belgischen Ort Nivelle (Burg und Stadt)
in Verbindung. In dortigen Chroniken taucht z. B. Nivellung
aus der Beinamengebung an die Pippiniden auf, so wie man auch auf jenen
Nibelunc
in der Namengebung für einen Pippiniden des 8. Jahrhunderts
trifft,
den Karl der Große als seinen Oheim bezeichnet haben soll.
Trotz eigener offensichtlich zu gewagter Thesen (Burgunderverortung)
bezieht sich
Grégoire auf manche Anregung zum Nibelungenursprung, die bereits
Emil
Rückert geliefert hat. (Titel seiner 1836
erschienenen Veröffentlichung: Oberon von Mons
und die
Pipine
von Nivella – Untersuchungen über den Ursprung der Nibelungensage.)
Allerdings räumen Ritter-Schaumburg und der seinerzeit u.a. als
Verlagslektor tätige Walter Böckmann († 2014) nicht nur
diesem Nivelle, sondern auch jenem
Waremme bzw. Borg-Worm, das als Sitz des Niflungenkönigs Gunnar
(mittelhochdeutsch: Gunther)
vermutet wurde, kaum Chancen auf historische Authentizität ein,
siehe Walter
Böckmann: Der Nibelungen Tod in
Soest – Neue
Erkenntnisse
zur historischen Wahrheit, vgl. S.106 f.
Anm.:
Böckmann
war
als Verlagslektor für
Ritter-Schaumburg tätig
gewesen, der sein Manuskript für Die Nibelungen zogen
nordwärts zuerst dem Econ-Verlag anvertraut hatte. Wie die Westfalenspiegel-Autorin
Ursula Heyn in ihrem
Beitrag Schlacht auf
dem Buchmarkt, Sept. 1981, weiter berichtet, soll Ritter die
Zusammenarbeit mit Econ bzw. Böckmann aufgekündigt haben, als
der Verlag an ihn (Ritter) lediglich Zweitautor-Ansprüche auf eine
Buchfassung stellte, die letztlich nicht mehr seinen
Vorstellungen entsprochen hatte.
Gegenüber Nivelle wird man vielmehr die von
Mone fokussierten
Ortsnamen im Raum Zülpich–Neuss zur Lokalisierung des
ursprünglichen
Nibelungensitzes favorisieren können. Hier begegnet eine
hervorstechende Zahl von Orten,
deren
Namen anhand der Originaltextaussagen jener altnordischen
Überlieferungen
nachdenklich stimmen. So beispielsweise Juntersdorf, das
frühere Guntirsdorp. Mit dem in der altschwedischen
Handschrift A zu Grimhild und Gernholt (vgl. Gernot)
mütterlicherseits
genannten Großvater König Yrian (‚Irian’)
trifft man auf eine Entsprechung Iriniacum, das
Heribert van der
Broeck mit seiner Veröffentlichung 2000 Jahre Zülpich
(Kölnische
Verlagsdruckerei 1968) als Sitz eines Kelten Irinus
identifiziert. Der Vater von ‚Gunters’ Halbbruder
‚Hagen’ wird handschriftlich als Elff
(Albe) bezeichnet – hierbei drängt sich ein nur wenige Kilometer
entferntes Elvenich
auf, das früher als Albinacum und Albihenae
bezeugt
wurde und van der Broeck einer keltischen Kultstätte zuordnet.
(Die in dieser Region typischen (n)ich-Endungen
weisen auf römisch-keltischen Spracheinfluss hin.) Und
schließlich
findet man hier auch Burg Irnich
sowie die Orte Vernich, Virnich (zu Schwerfen)
und Virmenich (jetzt Firmenich), die an
Quelltextbezeichnungen
wie Vernica, Verniza oder Vermintza für den
Nibelungensitz
erinnern.
Überdies findet Ritter-Schaumburg ein
weiteres und hierzu
offenbar
evident zusammenhängendes Indiz für den Zülpicher Raum
als
Herkunftsregion der „historischen Nibelungen“, nämlich die
quelltextliche
Anmerkung, dass gerade (noch) hellster Vollmond ist, als das Volk den
Rheinübergang
auf seinem schicksalhaften Zug zu Grimhild bei König At(t)ala
(eine
Schreibweise der isländischen Handschrift B, sonst „Attila“,
altschw. Aktilius, Atilius) im Hunaland
(„Hünenland“,
nicht „Hunnenland“!) erreicht hat:
Weil nach den Erkenntnissen unserer
Geschichtsforschung in der Spätantike wie auch noch im Mittelalter
der Beginn wichtiger Unternehmungen üblicherweise auf Vollmond
gelegt
wurde, konnten die von der kritischen Sagenforschung spezifizierten
Nibelungen mit
blanken Brünnen unter ihren Röcken augenscheinlich nicht
mehr als eine solche Distanz bis zum Rheinfährenort
zurückgelegt
haben!
Die nach Ritter-Schaumburgs Zeit- und Raumlokalisationen
zu
den fränkischen
Völkern zählenden Nibelungen treten um die Wende des ersten
halben
Jahrtausendes auf. Auch das dem 9. oder 10. Jahrhundert zugeschriebene
und
somit
gegenüber dem Nibelungenlied deutlich ältere Reimepos Waltharius
bezeichnet die Nibelungenbrüder Gunther und Hagen
als Franken. Diese raumzeitliche Angabe aus der Feder eines
vielmehr oberdeutschen Verfassers mag durchaus einer „aktuellen
Aneignung“ entspringen.
Nach der Frühgeschichte der Pippiniden könnten
auch
stemmatologische
Indizien aus der Karolinger-Dynastie eine Rolle spielen:
1. |
Die später
auftretenden
Pippiniden verfügen
in der Tat über bemerkenswerte Besitztümer im Zülpicher
Raum:
Beispielsweise wurde eine ehemalige Kirche zu Juntersdorf (Guntirsdorp)
einer Gertrud von Nivelles als Patronin der Pippiniden
gewidmet. |
2. |
Hagens Sohn Aldrian, nach der Svava und Membrane
der einzige bekannte lang lebende Nachfahre der bei König At(t)ala
untergegangenen
Nibelungen, wird als Nachfolger von deren Reich erwähnt. Er
könnte
also als Vorfahre der Pippiniden bzw. Karl des Großen in
Erwägung
gezogen werden. |
3. |
Der Verlauf der Westgrenze des Nibelungenreiches
wird
nicht überliefert.
Nichtsdestoweniger wäre Sigfrid, Aldrians erschlagener Onkel, als
Erbe von mütterlicherseitigem Familienbesitz auf linksrheinischem
Gebiet zu berücksichtigen. |
|
|
Ausblick
von der Neffel in Juntersdorf.
|
Virnich.
|
Bildquelle
Fotos
|
:
Verfasser. |
|
|
Burg
Irnich in Schwerfen bei Virnich.
|
Burg
Virmenich.
|
Die Svava und Membrane zitieren den
Aufbruch
der Nibelungen
zu ihrem letzten Ausmarsch in diesem Wortlaut:
So ritten sie zum Rhein,
dort wo Duna und Rhein
zusammenkommen...
(Die Membrane schreibt: Die
Niflungen fuhren
nun all ihre Straße, bis dass sie an den Rhein kamen, da wo die
Duna
und der Rhein zusammen kommen ...)
Unter Duna soll nun keineswegs die Donau verstanden
werden (die ohnehin
nicht in den Rhein fließt), sondern die Dhünn, die
bis
1830/1840 als Dune bei Leverkusen in den Rhein mündete und
auch als Duone 1117 urkundlich genannt wird. Ihr heute nur
wenig
weiter stromabwärts zu findender Mündungsbereich wurde von H.
Ritter-Schaumburg als seinerzeit strategisch wichtiger
Übergangspunkt
belegt.
Die Niflungen zogen dann zu Markgraf Rodingers Sitz.
Gleich südlich der Dhünntalsperre befand sich eine
frühmittelalterlich nachgewiesene Siedlung bei Bechen. Ein
Bekelar oder Bechelar – namensgebend soll
die dort einst fließende Beche gewesen sein – ergibt sich mit
der Endung „lar“ in bevorzugter Bedeutung für ein zumeist
gewässerbezogenes oder sumpfiges Waldgebiet. Die andere lokale
Bezeichnung dieser altsprachlichen Endung bezieht sich auf einen
abgegrenzten Bereich. Dieses Beche, so der mittelalterliche
Ortsname, hatte einen besonderen strategischen Stellenwert, denn hier
befand sich
eine Wegsperre, eine Grenzmarke in Form einer Landwehr auf dem alten
Heerweg
von Köln
über Wipperfürth nach Soest. Man vergleiche dazu die aus
dem Nibelungenlied als literarisch originär propagierte Ableitung
von (lat.) Praeclara für Pöchlarn zu Bechelâren
an der Donau. Der germanistische und skandinavistische Mediävist
Andreas Heusler erkannte in der Þiðreks saga (bzw.
deren Quellenmaterial) eine Vorstufe des Nibelungenlieds, vgl.
Hans Peter
Wapnewski, Deutsche Literatur des
Mittelalters. Ein Abriß. Göttingen 1960, S. 71.
Die zu revidierende altphilologische Betrachtung der ‚historischen
Nibelungen’ teilt
im Großen und Ganzen auch der Historiker Ernst F. Jung mit
seiner
analytischen Nachbetrachtung von Ritter-Schaumburgs Thesen und
Beisteuerung
weiterer interessanter Forschungsimpulse – so auch über die
topologische
Neuerkundung der Edda-/Gudrunlieder – in der Publikation Der
Nibelungen
Zug durchs Bergische Land. Bereits 1961 fand die
Literaturwissenschaftlerin
Roswitha Wisniewski bislang unwiderlegte
Anhaltspunkte,
dass in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine Art ‚Chronik
über
König Dietrich von Bern’
aus dem westfälischen Kloster
Wedinghausen
bei Arnsberg (→ ‚Wadhincúsan’) nach Skandinavien/Norwegen
gebracht,
dort nacherzählend übertragen und als Þiðreks
saga
betitelt
wurde,
wie die Autorin dies in ihrer Habilitationsschrift Die
Darstellung
des
Niflungenuntergangs
in der Þiðreks saga näher ausführt.
(Chronistische bzw.
historiografische Überlieferungen wurden im Altnordischen als ‚saga’
kategorisiert. Über das Kloster ‚Wadhincúsan’ siehe auch
den
Verfasserbeitrag Wadhincúsan,
monasterium Ludewici.)
|
Soest
von Merian.
|
Die Svava über Sigfrid
(‚Sigord’)
und die Niflungen
Eine kurze Zusammenfassung
Unter der
geografischen
„Svava“ soll der Ostharzgebiete einschließende Siedlungsraum der
nördlichen
Sueven bzw. Sueben in der Völkerwanderungszeit
verstanden werden. |
Sigfrids Vater Sigmund ist König von
Tarlunga,
dem niederdeutschen Darlingau (‚Derlingau’), in dessen nördlichem
Bereich sich heute die Stadt Wolfsburg befindet.
Sigmund heiratet Sissibe, Tochter von
König
Nidung im Haspengau,
dem heutigen Hesbaye zwischen Namur und Maastricht. Der
Tarlunga-Herrscher
erhält als Mitgift das halbe Reich von Nidung. Sissibe wird nur
kurze
Zeit später Opfer einer Machtintrige der Edelleute Hartwen
und Herman,
die der in den Krieg ziehende Sigmund als seine Stellvertreter ernannt
hat. Hartwin will sich Tarlunga mit Sissibe einverleiben, die sich
jedoch
beharrlich weigert. Die Edelmänner täuschen ihrem
zurückkehrenden
König die Untreue seiner Gemahlin vor und setzen, nachdem er in
tiefer
Betroffenheit seine Zustimmung gab, Sissibe an einem Fluss im Harzwald
aus, wo sie Sigfrid (altschwedisch Sigord Swen)1
zur Welt bringt. Hartwin will dort Sissibe durch Herausschneiden ihrer
Zunge für immer zum Schweigen bringen. Herman kann dies zwar durch
die Enthauptung seines Komplizen vereiteln, doch während ihres
Kampfes
wurde das in einem Glasgefäß gebettete Kind von Hartwins
Fuß
in den Fluss gestoßen und fortgespült. Sissibe, durch die
Vorereignisse
bereits mental und körperlich geschwächt, erleidet hierdurch
einen Schock und stirbt.
Die mit Motiven aus der fränkischen
Genoveva-Legende,
der
biblischen Überlieferung von der Geburt Moses sowie auch der Sage
von Romulus und Remus angereicherte Erzählung fährt fort,
dass
das Kind
von
einer Hirschkuh gefunden und gesäugt worden
sei.
Der anscheinend kinderlose Schmied Mime (Mymmer)2
zieht Sigfrid auf.
Das aufbrausende Wesen des jungen Sigfrid scheint
auch
auf Frustration
durch den „goldenen Käfig“ zu beruhen, den sein Adoptivvater
für
ihn geschaffen hat. Schließlich reagiert sich sein Zögling
in
der Schmiede durch Zusammenschlagen von Mimes Vorarbeiter ab.
Der enttäuschte Schmied muss aber auch erkennen, dass aus seinem
auffallend
kräftigen Ziehsohn wohl niemals ein guter Schmied werden wird.
Außerdem
scheint Mimes Kundin Königin Brünhild (altschwedisch Brynilla,
Brynilda)
Sigfrids Aufmerksamkeit zu erregen. Mime muss
letztlich
einsehen, dass er Sigfrid nicht länger halten kann, will ihn aber
lieber tot als verloren sehen. Der verschlagene Schmied schickt ihn
deswegen
zum Köhlern in die Gegend von Regen3,
der sowohl sein Bruder als auch ein Menschen tötender Lindwurm
sein soll.
Sigfrid trifft Regen im Wald und tötet ihn.
[Er
gibt
(damit) an,
dass ihm Regens blutiger Drachensud4
nicht nur eine unverwundbare Hornhaut machen, sondern auch seinen Sinn
für das Verstehen der Vogelsprache schärfen konnte.]
Sigfrid bringt das sonderbare Haupt von Regen zu
Mime
und befiehlt ihm,
es abzunagen. Mime fürchtet sehr um die Rache Sigfrids. Er schenkt
ihm deswegen seine für einen König geschmiedete
prächtige
Rüstung, sein bestes Schwert Gram(er), und
verspricht
ihm noch
den Hengst Grane aus dem Gestüt der Königin und
Jungfrau
Brünhild.
Sigfrid lässt sich von Mime die Rüstung
anlegen
und das
Schwert
überreichen, mit dem er gleich darauf seinen Pflegevater
erschlägt.
Danach dringt er in Brünhilds Schloss ein, um
sich
den
Hengst zu holen.5
Nachdem er sieben ihrer Torwächter tötete und sich sodann mit
ihren Rittern und Knappen herum rauft, gebietet die vom Eindringling
dennoch
beeindruckte Schlossherrin Einhalt. Sie lässt nach dem Hengst
schicken
und erklärt Sigfrid seine wahre Herkunft.
Sigfrid zieht mit Grane nach Bertanga
(so schreibt eine isländische Handschrift den niederdeutschen
Bardengau), dem heutigen
westlichen Elbegebiet zwischen Hamburg und Wittingen, um dort
König Isung
zu dienen. Dieser erlaubt Sigfrid, sein eigenes Schildbanner zu tragen,
das einen Drachen (halb in rot und halb in braun) auf rotem Grund
führt.
Dietrich, König von Bern,6
hört von Sigfrids Kampfkraft und Heldentaten und ist fest
entschlossen,
sich mit ihm zu messen. Zu „Didriks“ Gefolgsmännern nach
Bertanga zählen unter anderen auch Gunter (in den
Handschriften Gunnar),
König der Nyfflinge/Niflungen und sein Bruder Gernholt,
beide leibliche Söhne von König Irung (Mb 2), sowie
deren
Halbbruder Hagen
(altnord. Hǫgni)7.
König Dietrich folgt auch Heim der Großmütige
bzw. der
Grimmige. Das blaue Schild dieses Verwandten von Brünhild
zeigt
einen Hengst. Unter Dietrichs Kämpfern befinden sich auch Hornboge
und sein Sohn Amling (Amlung).
Mit ihnen wähnt sich Sigfrid in
verwandtschaftlichem
Verhältnis. Wideke, Welands Sohn,
besitzt das legendäre (weil seinerzeit härteste) Schwert Mimming
(Mimung).
Sigfrids ungestümes Temperament hatte den ebenfalls bei Mime
lernenden
Weland, Schmied des Mimung, in die Flucht getrieben.
Dietrich kampiert in Sichtweite vor Isungs Schloss8.
Als schlichter Reiter verkleidet kundschaftet Sigfrid die
Ankömmlinge
aus und fordert für seinen König eine angemessene Schatzung.
Er erhält nach Auslosung durch Würfeln Ross und Schild von
Amlung.
Dieser reitet jedoch kurze Zeit später mit Widekes Schimmel dem
kecken
heimischen Kundschafter nach, um sich sein Pferd um jeden Preis
zurückzuholen.
Amlung wird aber von Sigfrid besiegt als sich beide im Wald
begegnen.
Weil Sigfrid Amlungs Vater als guten Verwandten in Erinnerung hat, gibt
er sich zu erkennen und das Pferd zurück. Auch Wideke hatte
Sigfrid
erkannt. Beide verraten ihn aber nicht an den rheinfränkischen
König.
König Isung stimmt einem Turnierkampf mit
seinen
elf
Söhnen
und Sigfrid zu. An den beiden ersten Wettkampftagen kann König
Dietrich
mit seinem Schwert seinen Gegner Sigfrid nicht
besiegen.
Deswegen verlangt er von Wideke den Mimung. Dem Gebrauch dieses
Schwertes
schwört der König vor Sigfrid zu Beginn des darauffolgenden
Tages
zwar ab, benutzt es aber dennoch.
Nachdem er Sigfrid fünf Wunden mit Mimung
beigebracht
hat, erkennt
der Angeschlagene die arglistige Täuschung und gibt auf. Des
Eidbruchs
von Dietrich zum Trotz tritt Sigfrid auf freien Wunsch dennoch in den
Dienst
des rheinfränkischen Herrschers.
Sigfrid heiratet auf Fürsprache von
König Dietrich Grimhild
(in den altschwedischen Texten zumeist Crimilla) und
erhält,
wie von ihm
versprochen,
das halbe Niflungenreich.9
Der Jungvermählte bietet sich als Brautwerber
für
eine
Verbindung
zwischen König Gunter und Brünhild an. Diese Vermittlung ist
insoweit eine delikate Angelegenheit, als Sigfrid bereits vor seiner
Heirat
Brünhild die Treue schwur und sie ihn nun wissen lässt, was
sein
Bruch des Liebesschwurs für sie bedeutet!
Die königliche Heirat von Gunter und Jungfrau
Brünhild
kommt
zustande. Allerdings verweigert sie sich in allen Nächten stets
erfolgreich.
Sigfrid vertraut hierüber seinem Rat und Hilfe suchenden Schwager
an, dass Brünhilds körperliche Überlegenheit sicher nach
ihrer ersten Berührung gebrochen wäre.
Wie auch das Nibelungenlied nacherzählt,
überlässt
hierzu
Gunter in enger familiärer Verbundenheit mit seinem Schwager eben
diesem das Weitere. Allerdings wird Brünhild sich Sigfrid
keineswegs
verweigern!
Später entdeckt Grimhild Sigfrids
Trophäe von
dieser
Liebesnacht:
Brünhilds Ring. Der hierdurch hervorgerufene Streit und
abgrundtiefe
Hass zwischen beiden Frauen findet in Sigfrids Erschlagung durch Hagens
Speer jenes vorläufige tragische Ende, an dem Grimhild noch ihre
verheerende
Rache anknüpfen wird.
Sie heiratet den aus Friesland stammenden und im
heutigen
Westfalen residierenden König Aktilius („At(t)ala“),
und lockt
nach sieben Jahren ihre Brüder zum Sitz ihres Gemahls. Dieser
ist das westfälische Susa, damaliges Zentrum des
„Hünenlands“
(auch Hymaland in den altschw. Texten).
Gunter will trotz ernster Bedenken von Hagen und
der
Königinmutter
die Gelegenheit nutzen, das Reich seines angeblich schwachen Schwagers
zu übernehmen. Schließlich ziehen die Nibelungen
wohlbewaffnet
mit einer Tausendschaft aus. Sie gelangen auf ihrer Marschroute an eine
Stelle, wo Duna („dwna“)
und Rhein zusammenkommen. Dort, an einem nahe
gelegenen
Rheingewässer, trifft Hagen zwei Wahrsagerinnen. Er erschlägt
diese nach einem trivialen Streit über ihre düstere
Weissagung
über das Schicksal der Nibelungen, wie auch kurz darauf den
Fährmann
bei der Rheinüberquerung an der Dunamündung. Von dort begeben
sich
die Nibelungen in einem halben Tagesritt zunächst nach Bakalar
(altschw. Becculær, Pæclar) dem Sitz von Markgraf
Rodinger
(altschw. Rodgerd) im Bergisch Gladbacher Raum. Nach den
altnordischen Texten ziehen sie dann an Thorta (Dortmund)
vorbei
nach Susa(t): dem westfälischen Soest. Dort
werden sie in
harten
Kämpfen gegen das Volk des Gastgebers ihr Ende finden.
Beim Gastmahl gewinnt Grimhild ihren gemeinsamen
jungen
Sohn Aldrian
für eine Mutprobe mit Hagen, an dem er einen kräftigen
Kinnschlag
probiert. Der gereizte Nibelunge versteht diesen Spaß jedoch
überhaupt
nicht und enthauptet wutentbrannt sowohl den Jungen als auch seinen
Erzieher.
Hierauf folgt unmittelbar Atalas Aufruf, alle Niflungen zu
erschlagen.
Gunter muss sich bereits am ersten Kampftag den
Männern
von Herzog
Osid, einem Neffen von Atala, ergeben und wird – wohl unweit der sog. Irungsmauer
– in den Schlangenturm10
geworfen, worin er wenig später stirbt. Grimhild tötet ihren
bereits sterbenden Bruder Gislher (altschw. Gyntar),
indem sie einen brennenden Scheit
in seine Kehle stößt. So hat sie zuvor auch mit ihrem Bruder
Gernholt verfahren, obwohl dieser von Didriks Gefolgsmann Hildebrand (Hillebrand)
längst getötet worden war.
Nachdem etwa 4000 Kämpfer aus dem Hunaland
gefallen
sind, wird
Grimhild auf Atalas Bitten durch Dietrich erschlagen. Ihm hatte sich
bereits Hagen ergeben, der Grimhilds ergebenen Gefolgsmann Ritter Irung
im Zweikampf tötete und
wegen dabei erlittener schwerer Verwundungen zum Sterben bestimmt war.
Unter Dietrichs Fürsorge zeugt er noch in der Nacht vor seinem Tod
einen Sohn mit seiner Pflegerin und übergibt der
zukünftigen Mutter des vorhergesagten
und schließlich Aldrian genannten Kindes den
Schlüssel
zu Sigfrids Schatzkammer.
Noch in jungem Alter, mit etwa zwölf Jahren,
lockt
Hagens Sohn
seinen nicht mehr jungen Ziehvater König Atala zu diesem Hort und
schließt ihn darin für immer ein. Dann meldet Aldrian
Brünhild
seine Rache der Niflungen, wird von ihr großzügig
belohnt
und wenig später ein guter König.
Der geheim gehaltene Niflungen- bzw. Nibelungenhort11
soll seitdem nie mehr betreten worden sein. Allerdings wird er sich in
einer weniger großen Entfernung von Atalas Sitz befunden haben müssen.12
|
Anmerkungen – Fragen & Erkenntnisse
|
Nordharz-Karte
von 1968 |
|
*
Neffel - Niflung
Laut Wikipedia („Neffelbach“, abgerufen 26.07.2012)
leitet sich der Name dieses Gewässers vom rheinischen Nevvel
=
Nebel ab,
„da die Ufer des Bachlaufs
häufig morgens im Nebel liegen.“
Eine in dieser Quellenregion verwurzelte Sage berichtet über zwei
vermögende unterirdische Zwergenherrscher Niff und Neifel.
Dazu liefert das Nibelungenlied eine mehr oder weniger treffliche
Anspielung mit zwei Zwergen namens Nibelung. Es heißt
dort,
dass der eine als Vater seinem
gleichnamigen Sohn
wie auch dessen Bruder Schilbung
– zu ihm die unferne Schievelsheide als Namenspatin? –
einen immensen und später von Siegfried
erbeuteten Schatz hinterlassen hatte. Übrigens ist in der 350.
Strophe
des Nibelungenliedes anstelle von ‚Tarnkappe’ von einer ‚Nebelkappe’
die Rede; – „ein jeder
mochte drinnen thun nach seinem Muth“
(vgl. Simrock),
womit sich noch eine weitere Andeutung dieser Neffelregion folgern
ließe. Auch scheint nachvollziehbar, dass dichter Nebel vor allem
kleineren
Kreaturen als Tarnung dienen kann. (Durch den oder die Verfasser der
älteren
oberdeutschen Waltharius-Dichtung wurde den
Nibelungen–Niflungen der Spitzname Franci
nebulones verliehen.)
Eine nüchterne Ausgangsinterpretation oder schlichte „Enttarnung“
der
Zwergenlegende von der Neffel basiert auf der frühgeschichtlichen
bzw.
hier bereits römerzeitlich belegten Erzverarbeitung, wozu offenbar
durchweg oder zumindest vorzugsweise kleinwüchsige Menschen im
Abbau
„unter Tage“ bzw. „in der Höhle“ eingesetzt wurden. Und dabei
mögen sie
von jenen gleich
großen Individuen befehligt worden sein, die das
weiterverarbeitende
Eisen- und
Kunstschmiedehandwerk Gewinn bringend beherrschten.
Die Namensherkunft bzw. Grundbedeutung von Wortformen,
die mit nifl- beginnen, verbindet Jan de Vries (Verfasser
des Altnordischen etymologischen Wörterbuches)
trefflicherweise
sowohl
mit dunkel (vgl. „Höhle – Erzabbau“) als
auch neb(e)lig. |
|
Gegenüber Heinz Ritter-Schaumburgs Verortung
von Sigfrids Schmiedeaufenthalt, seinem „Drachenkampf“ und
seiner Schatzaneignung (siehe auch nachfolgende Anmerkungen 2
bis 3)
scheinen der Neffelraum wie auch die Orte Rheinbach – einst
beurkundet als „Reginsbach“ – und Wormersdorf an
erzählungsarchaischem
Hintergrund zu gewinnen. |
1 Sigfrid
Aus den unterschiedlichen Schreibweisen in den
altschwedischen Texten geht er als Sigord hervor.
Auf älteren Karten vom Nordharz findet man noch die Wüstung Siewershausen
(siehe X- Markierung auf der oben angegebenen Karte), die laut alten
Archivkarten
ursprünglich Sigefrideshuson hieß. Heinz
Ritter-Schaumburg hat
hier Vermutungen über den Geburts-, Fund- oder Gedenkort von
Sigfrid
angestellt.
|
|
Wüstung
Siewershausen
mit Blick nach SO.
Bildquelle
beider Fotos:
Verfasser.
|
Minsleben
– „Mynnersleben“
an der Holtemme,
mit
Blick
nach S. auf
das „Nordgebirge“.
|
Sigfrids Körpergröße
Mime hat gerade eine königliche Rüstung fertig
geschmiedet,
legt diese Sigfrid an – und sie passt! Immerhin steht ihm diese
offenbar
so gut, dass er sie für seinen Marsch zu Brunhilds Residenz gleich
anbehält, wo er – im unterstellten Knabenalter – wohl kaum sieben
Torwächter erschlagen und sich noch mit Rittern und Knappen der
Königin
anlegen
konnte. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl der
königliche
Auftraggeber als auch Sigfrid nun ausgerechnet die gleiche
Größe
eines ausgesprochenen Riesen besitzen? Dagegen spricht die enorm
beeindruckende
Größenbeschreibung von Sigfrid, die Meister Brand in der
offenbar
feuchtfröhlichen Runde von König Didriks Mannen abgibt,
„Gastmahl“
(Sv 177, 178). Dürften diese Angaben auf jugendlicher Protzerei
sich
weit überschätzender Prahlhänse beruhen?
Tatsächlich
fahren diese Kampfgesellen nach beschlossenem Kräftemessen bei
König
Isung mit einem blamablen Mann-Gegen-Mann-Ergebnis nach Hause: Von
zwölf
Kämpfen konnten sie nur drei Siege für sich entscheiden, die
übrigens weder von Hagen noch von Gunter mit errungen wurden –
Didriks
Kampf gegen Sigfrid wegen arglistiger Täuschung durch Eidbruch
nicht
mit gerechnet.
2 Mime
Mime war sicherlich nicht irgendein Schmied, der es
nötig
hatte, gewöhnliche Arbeiten für die Dorfbevölkerung zu
verrichten. Anscheinend wussten von seinem Handwerk auch Herrscher in
ferneren
Gefilden.
Mime schirmt seinen Zögling offenbar
gut
ab, lässt ihn zunächst nicht unter seinen Schmieden
mitarbeiten.
Nichtsdestoweniger scheint der jugendliche Sigfrid ihm dies mit
frustriertem Herumlungern danken, und er steckt
dabei
gelegentlich seine Nase in die Schmiedewerkstatt seines Pflegevaters,
um
dort dessen Gesellen mächtig zu enervieren und zu verprügeln.
Erst als der stark Pubertierende kaum mehr zu bändigen ist, will
ihm
Mime das Arbeiten in seiner Schmiede lehren!
Nach frühen urkundlichen Bezeugungen ist der nur
wenige
Kilometer
von Siewershausen entfernte Ort Minsleben nicht nur eine der
ältesten
Siedlungen dieser Region, sondern auch eng mit frühzeitlicher
Schmiedetätigkeit
verbunden. Buchautor Ritter-Schaumburg war Zeuge von Ausgrabungen und
Analysen
von früh datierbaren Eisenschlackeresten aus diesem Ort. Zu dessen
Namensgebung sind sowohl die später hinzugefügten
thüringischen
Endungen -leva, -leven anzumerken als auch der
handschriftliche
Name von Mime, Mymmer oder auch Mynner.
Im altnordischen Überlieferungskomplex der älteren
Edda ist der Schmied Mime
als Regin(n) zu identifizieren. Wie schließlich aus der
Vǫlsunga saga hervorgeht, beauftragt Hjalprek
den Schmied Regin, für den noch jungen Sigurð
zu
sorgen. Für Herrschergestalt dieses Hjalprek, wie er auch
mit angelsächsischen Feldzügen in Verbindung gebracht wurde,
scheint dessen namentliche Übertragung wie auch das
raumzeitgeschichtliche Umfeld
am
ehesten auf den salischen Frankenkönig Childerich I. hinzuweisen.
Nach den Überlieferungen über den ersten merowingischen
Childerich, siehe dazu die Berichte
des fränkischen Geschichtsschreibers
Gregor von Tours, könnte sich Regins bzw. Mimes Schmiede
in salfränkischen bis thüringischen wie aber auch
weiter nord(öst)licheren Bereichen befunden haben. Heldenpoetische
wie auch historiografische Überlieferungen legen Hjalpreks
bzw. Childerichs Einfluss und Wirken in diesen weitläufigen
Regionen nahe.
Mit einer von Ritter-Schaumburgs Verortung abweichenden
und
augenscheinlich näher an der oberdeutschen
Nibelungendichtung orientierten Neulokalisation von Sigfrids
Pflegevater
und dem Drachen(h)ort befasst
sich eine Deutung von Rudolf Patzwaldt: Liegt das
„Rheingold“
in Rheinbach-Loch bei Bonn?
http://www.wingarden.de/wing/germanen/art-nibelungen2.html
(Abgerufen
11.05.2011.)
3 Der Regenstein,
Schauplatz nach Heinz Ritter-Schaumburg
Nur etwa elf Kilometer südöstlich von
Minsleben erhebt
sich
der Regenstein als kleines Waldgebirge am nördlichen
Fuß
vom Harz, dessen Sandsteinfelsen sich steil in die Höhe erheben.
|
Das
bewaldete Feuerland
umschließt den Regenstein.
Bildquelle
Foto: Verfasser.
|
Besonders beeindruckend sind die an seinem Fuß
befindlichen
Höhlen
im sogenannten Feuerland, wo man alte Kultstätten
(Thing-Rituale) vermutet.
|
|
Bildquelle
beider
|
Fotos:
Verfasser. |
Nur wenige Kilometer von diesem Nordharzer
Sandsteingebirge
entfernt
befindet sich das überwiegend von Teichgewässern
geprägte
sumpfige Goldbachtal. Parzellen in diesem Gebiet werden in alten
Flurkarten
als Drachenkopf und Drachenloch bezeichnet. Noch heute
werden
diese Bezeichnungen von Forstaufsehern für das nunmehr in privater
Hand befindliche Areal verwendet.
|
|
Ansichten
vom ca.1/2
km langen Drachenloch.
Bildquelle
beider Fotos:
Verfasser.
|
Der Verfasser
dankt den Grundeigentümern für
Aufnahmeerlaubnis
und Bildfreigabe.
|
War Regen ein später solitärer
Protozoon oder ein Graf am Regenstein?
Für die erstgenannte Möglichkeit mag ein
idealer
Lebensraum
vorhanden gewesen sein. Zwar sprechen die altnordischen und
altschwedischen
Überlieferungen von einem Regen als Bruder von Mime, doch
könnte
es sich hierbei ebenso gut nur um eine geistige Bruderschaft handeln:
Besaß
Mime, wie Sigfrid zu spüren bekommen sollte, jene Verschlagenheit
und Hinterlist eines Reptils?
Nun hätte aber auch jener weiter unten zitierte
residenzlose
Emporkömmling
Hatebold, der als erster und wohl (noch) nicht vermögender „Graf
von Regenstein“ das Areal um den großen Bergfels seit kurzer Zeit
in seinem Besitz hatte, sich zum einfachen wie besonderen Schutz
desselben
dem wahrlich Furcht einflößenden Umfeld rings um seine
Residenz
bedienen und – zu seiner wichtigsten Vervollständigung – für
alle ungebetenen Gäste „einen Drachen bauen können“. Für
eine solche sicher auch zum Ausrauben geeignete Maskerade sprechen
vielmehr
einige indirekte Anspielungen (vgl. Zitate Sv 158), denn
in den Handschriften ist auch vom Goldschatz die Rede (Sv 304), den der
kecke Sigfrid dem „Drachen“ abgenommen haben soll. Die
nach den vorliegenden Überlieferungen hauptsächlich
aus den Überlieferungen der Edda abgeleitete Vǫlsunga saga
will den wahren Sachverhalt über dieses nur scheinbar
mythische
Wesen klar erkannt haben und zitiert dessen enthüllende Aussage
wie
folgt:
»Hattest du nicht
gehört, wie alles Volk
sich
fürchtete
vor mir und meinem Schreckenshelm?«
Ein als Drache verkleideter Räuber, wie manche
Autoren
vermuten,
hätte wohl kaum seinen Schlupfwinkel am Fuß oder irgendwo in
der Nähe eines feudalherrschaftlichen Sitzes gesucht; und der mit
seiner HighTec-Schmiede ein enormes Vermögen anhäufende
misstrauische
Mime hätte seine Schätze wohl kaum weder einem
räuberischen
Verwandten noch einem Fremden anvertraut, um sie neugierigen Blicken
und
allen Versuchungsgedanken seines fragwürdigen Personals weit genug
zu entziehen. Wohl aber allenfalls seinem Bruder, den man, wie auch
Mime,
zur damaligen „VIP-Class“ der dortigen Region zählen durfte: Regen
– Graf von Regenstein.
Tatsächlich scheint die Vǫlsunga saga näher
auf
die Motive von Mime (hier heißt er jedoch Regin) und
dessen
habgierigen Bruder (Fáfnir) einzugehen. So erklärt
sich dieser
gegenüber
Sigfrid, der ihn zuvor tödlich verwundet hat:
»Den
Schreckenshelm trug ich zum Schutz gegen
alles
Volk,
seit
dem ich auf dem Erbe meines Bruders lag... dass niemand noch mir zu
nahen
wagte; kein Schwert schreckte mich, und nie fand ich so viele
Männer
mir gegenüber, dass ich mich nicht weit stärker dünkte,
alle aber hatten Angst vor mir... «
|
Der
Regenstein mit
seiner Burgruine am Nordharz, Merian 1654.
|
Die erste urkundliche Erwähnung von „Regenstein“
soll
diese
Erzählung
begründen:
Im Jahre 479 zog Malvericus (Melverich), der
König
der Thüringer,
mit seinem Heer über den Harz, um die Sachsen zu verdrängen.
Beim Ort Vedekenstidde (Veckenstedt/Veckenstädt) wurden die
Thüringer
jedoch von den Sachsen geschlagen und mussten sich zurückziehen.
Nach
diesem Streit hielten die Sachsen einen Rat. Sie gaben einem im Kampfe
ausgezeichneten Edelmann namens Hatebold aus dem Dorfe
Veckenstädt
ein Stück des noch wüsten Landes vor dem Harz, damit er sich
dort eine Heimatstadt bauen sollte.
Er suchte sich also eine passende Stelle, kam an
einen
großen,
steinernen Berg und rief aus: »Dieser Stein ist gereghent
(richtig),
darauf soll meine Wohnung sein!«
Er baute eine Burg und nannte sich fortan „Graf von
Regenstein“. |
|
Quelle: Sagen um den
Regenstein,
zusammengestellt
und bearbeitet von Hans Bauernfeind, Helga Sorge, Hermann Wehr.
Herausgeber:
Schloßmuseum Blankenburg. |
|
Für den betreffenden Zeitraum bestand also eine namentliche
Bezugsoption
auf Regen. Insoweit hätte übrigens auch ein an diesem
Kleingebirge lebendes Reptil leicht nach dem Kurznamen des
Gebietseigentümers
benannt werden können.
4 Drachensud an
anderen Stellen
Die Svava relativiert selbst jene schier
unglaubliche
Unverwundbarkeit
von Sigfrids Haut durch Schilderung seiner Verwundungen im Turnierkampf
gegen König Dietrich, die ihn – trotz angelegter Rüstung –
zur
Aufgabe zwingen!
Wie historische Überlieferungen erkennen lassen,
soll
das fränkische
Herrschergeschlecht der Merowinger mit einem der sogenannten
„Ichthyosis
Hystrix“ ähnelnden Symptom erblich vorbelastet gewesen sein. Die
Erscheinungsformen dieser Hauterkrankung reichen bis zu einer
Hautschwartenbildung
wie bei Hausschweinen: Trefflicherweise wird Sigfrid in den
altnorwegischen Überlieferungen Sigurð svein(n)
genannt. Diese Apposition
bezeichnet im Altnordischen jedoch auch einen flegelhaften
Halbwüchsigen.
Mit seiner Fabel vom Drachentöter, durch angebliche
Blutsud-Anwendung
schließlich zum unverwundbaren Supermann glaubhaft gemacht,
hätte
Sigfrid also in höchst beeindruckender Weise seinem
Erklärungsnotstand
über seine auffällig dicke Hornhaut, verschiedentlich als
„Ichthyose“
zitiert, ein Ende bereiten können!
Der isländische Abt Nikulás Bergsson
(Bergþórsson) rezitiert Sigurðs Kampf auf
der Gnitaheiðr gegen Fáfnir mehr oder
weniger weit (südlich) von Horús,
und zwar bei Kiliandr, wie er
diese beiden Orte in seinem um 1160
geschriebenen „Pilgerreiseführer“ Leiðarvísir og
Borgarskipan zwischen Pǫddibrunnar
(Paderborn) und Meginzoborgar
(Mainz) angibt. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Francis P.
Magoun Jr. (publ. 1940–1944) denkt bei
dem
schwierig zu lokalisierenden Horús
an das bereits von
den Kaisern Otto I. und Heinrich II. urkundlich erwähnte Horhusum
am nordöstlichen
Fuß
der Eresburg (Obermarsberg). Dieser einst dem Kloster Corvey
tributpflichtig überlieferte Ort, heute als Wüstung kaum mehr
kartografiert, findet sich daneben auch in Hermann Oesterleys
historisch-geographischem Wörterbuch des deutschen Mittelalters (1883:302).
Den Ort Kiliandr verbindet
schließlich Magoun über postulierte Stammwurzelformen wie z.
B. Nitahe oder Nitehe mit der (G)Nita heiðr,
und zwar der
Nidda bei Kilianstädten (dgl. Rudolf Simek, Altnord.
Kosmographie, RGA Erg.-Bd. 1990:484. Zur Übersetzungskritik
Dominik Waßenhoven 2008:29–61).
Hat für diese
Identifizierung, die Magoun immerhin als „most tentatively“ bezeichnet,
der in
altnordischer Mythologie fest verankerte Drache Niddhogg als
Pate
im Hintergrund gestanden?
Bereits vor Magoun lieferte Nikulás
Übersetzer Erich Christian Werlauff (Universität Kopenhagen)
eine kaum
minder interessante Alternative. In seiner 1821
veröffentlichten Symbolas ad
Geographiam medii
ævi ex monumentis Islandicis stellt er (Seite 37, Anm.
34) für Kiliandr
das bei Warstein gelegene Kaldenhart
zur Disposition – also der später von Ritter identifizierte Hohle Stein bei Kallenhardt! Rund
25 km südöstlich befindet sich die größte
Hochheide Nordwestdeutschlands um Willingen und von dort rund 15 km
östlich die zu Nikulás Zeit bereits urkundlich genannte St.
Kilian-Kirche in Korbach.
Sigurðs
Entscheidung, gleich nach dem „Drachenkampf“ auch seinen Ziehvater zu
erschlagen – den
offensichtlich letzten Mitwisser von Fáfnirs ungeheurem
Schatz(h)ort – könnte auf dessen bevorzugte Verschleppung
zu einem Versteck unweit von der Stelle des „Drachenkampfs“ bzw.
von Fáfnirs Hort hindeuten.
Sich auf dessen erzählerisches Milieu
beziehend ergänzt Felix Genzmer die von Gustav
Neckel herausgegebene Edda-Ausgabe
(Berlin 1927) mit einer Textstelle aus der Vǫlsunga saga:
Sigurd
ritt auf
Fafnirs Spuren nach
dessen Hause und fand es offen, und die Türen und Pfosten von
Eisen. Von Eisen war auch alles Zimmerwerk am Hause, und alles tief in
die Erde gegraben. Da fand Sigurd großmächtiges Gold und
füllte damit zwei Kisten. Da nahm er Ögis Helm und die
Goldbrünne und das Schwert Hrotti und viele Kostbarkeiten und
belud Grani damit. Aber das Roß wollte nicht fortgehen...
Das von Magoun befürwortete Kiliandr liegt etwa 30 km
Luftlinie von jenem Berg, auf dem bereits 1043 für
die Geliebte des Drachentöters anstelle eines seinerzeit
tradierten lectulus Brunhildi ein „Brunhildisfelsen“ geweiht
wurde. Den Schauplatz Gnitaheiðr betreffend folgt der
Philologe und Buchautor August Hunt zwar F. P. Magoun, identifiziert
jedoch letztlich Seeburg am Süßen und Salzigen See
als Brynhilds
Hauptsitz. Andererseits besteht für den mit Brunhilds Sitz
verbundenden „Hirschkuhberg“ = Hindarfjall nur
wenige Kilometer östlich von Bad Honnef zumindest eine
Namensgleichheit für einen Berg, der später in Himmerich
umbenannt wurde; vgl. Johann Joseph Brungs, Berg- und
Flurnamen aus dem Bereiche des
Siebengebirges (1931) S. 12–13.
Aus dem von Nikulás um die Mitte des 12
Jahrhunderts verfassten
Reisebericht, jedoch in zwei Handschriften mit deutlich
späteren ortstypischen Merkmalen von Rom und Deventer erhalten,
kann nicht entnommen werden, dass er das
Nibelungenlied gekannt hat. Er gibt Þiðreks
bað bei Viterbo (→ Bagnoregio
bzw. Balneum Regium)
an, woraus sich folgern ließe, dass er oder seine beiden Kopisten
diesen Thermenort als ein Resort des italienischen Theoderich
verstanden haben. Diese Stelle könnte ein altnordischer
Skribent schließlich für die Þiðreks saga aus
Nikulás'
Leiðarvísir rezipiert
haben – jedoch ohne zu wissen, dass ein Þiðreks
bað nördlich der Alpen für einen gleichlautenden
fränkischen König längst nicht unmöglich war!
Hat die orts- und figurensymbolische Gleichsetzung von Siegfried
dem
Drachentöter
mit dem auf einer Schötmarer, Loxtener oder gar
Hildesheimer
Heide kämpfenden Germanenführer
Arminius – der ja mindestes eine römische Heeresschlange
besiegt
hat („Varusschlacht“) – tatsächlich einen Anspruch auf archaische
Stimmigkeit? Bekanntlich
wird diese fach- und medienpopuläre Interpretation
von
Analysten bevorzugt, die sich weniger um historische Kontinua und
Biografien von überlieferten Heldenzeugnissen kümmern und
vielmehr, offenbar wegen einer für sie kaum überschaubaren
Anzahl an
abgeleiteten Siegfried-Rezeptionen, eine historische Urgestalt
außer oder neben ihrem cheruskischen Hermann-Prototyp nicht
erkennen können
oder wollen. Die unkritische Bejahung dieser sicher mehr als
hochspekulativen Siegfried-Perspektive (vgl. dagegen
Heinrich
Beck
1985:92–107) erlaubt allerdings nicht die älteste
verfügbare
und wiederum altnordische Schicht nibelungischer Tradition:
Die oben erwähnte und zumindest nach
mündlicher
Überlieferung vor 1020
datierte
heldeneddische Fáfnir-Erzählung als Oraltradition
ist die erste
literarhistorisch
greifbare
Schatzhort-Sigfrid-Thematisierung und entmythologisiert –
provokant
gesagt – alle späteren Auffassungen und Verewigungen des
Drachenkampfs. Die daraus sinngemäß übernehmende
Vǫlsunga saga enttarnt somit auch den „Drachen“ = Fáfnir
als einen leiblichen Bruder
von Sigurðs Ziehvater Regin:
Zunächst
wird
überliefert (vgl. Reginsmál), dass Hreidmar
von seinem Sohn Fáfnir aus Habgier bzw. wegen eines
bedeutenden Schatzes
getötet wurde. Diesen
hatte Hreidmar als Wiedergutmachung von einem Angehörigen
aus dem
(vergötterten) Geschlecht der Asen
für die offenbar
versehentliche Erschlagung seines in
„tierischer Gestalt“ Fische fangenden Sohnes Otr (im Tauch- und
Tarnanzug?) erhalten. Sigurð wird schließlich von Regin
angestiftet, dessen
Bruder Fáfnir zu beseitigen. Und wie dieser mit seinen
letzten Worten Sigurð
gesteht, habe er einen „Schreckenshelm“ getragen (siehe Zitat oben), um
mit beeindruckend inszenierten Auftritten ungebetene Schatzsucher
fernzuhalten.
Die an dieser Vorgeschichte wenig Anteil nehmende Þiðreks
saga
überliefert
beide Gestalten mit anderen Namensbezeichnungen und tradiert – offenbar
in vermittlerischem Interesse oberdeutscher Stoffauffassung – jedoch
nicht
in
einer derart verständlichen Version die Enttarnung des „Drachen“. |
Übrigens findet man unter dem Eintrag „Drache“ im Großen
Duden Lexikon,
Ausgabe 1969, dies Erklärung:
der Sieg über den
Drachen bedeutet Sieg
über
Chaos,
Finsternis oder über eine alte Ordnung...
Der Drache verkörpert also Schlechtes – ohne
notwendigerweise
leibhaftig
auftreten zu müssen!
|
Der
„Lindwurm“ auf
dem Drachenfels am Rhein.
|
Diese
Skulptur ist übrigens
eine detaillierte Nachkonstruktion anhand realer Skelettfragmente, die
im Senckenberg Museum Frankfurt und im Berliner Zoo aufbewahrt
werden! |
Bildquelle:
Verfasser.
|
|
5 Brünhilds Burg
Nach der Þiðreks saga und den altschwedischen
Handschriften begibt sich Sigfrid mit schwerer Montur (Rüstung) zu
Brünhilds Sitz „Seegard“. Die
Wahl beschränkt sich also entweder auf die Heimburg (H.
Ritter), Seeburg (A. Hunt) oder Burg Ilsenstein
(W. Böckmann). Letztere
befindet sich auf einem Berg nahe am Brocken mit herrlicher
Aussichtslage –
das Nibelungenlied nennt übrigens Burg Isenstein als
Brünhilds
Sitz.
In jenen altnordischen bzw. altschwedischen
Überlieferungen wird diese am
Nordgebirge
beschrieben, sowie nahe bei einem Brünhild gehörenden
Gestüt in
einem Wald ganz nah dabei, dessen Pferde wegen ihrer
außergewöhnlichen
Eigenschaften viel gerühmt wurden.
Königin Brünhild war zu jener Zeit Vollwaise.
Ihr Oheim
oder
vielmehr Schwager war nach der Vǫlsunga saga
der
Pferdezüchter Heimir
(„Studder“; vgl. Heim in Sv 14). Die quelltextliche Lage seiner
Heimburg,
die später unter anderem mit Heinrich IV. und Heinrich dem
Löwen
geschichtlich verbunden werden sollte, kann durch einen einige
Kilometer
nördlich von ihr gelegenen großen unterirdischen See
bestätigt
werden, wie dem Verfasser dieses Beitrags von den Besitzern der sog.
Drachenloch
Parzelle über dort angestellte geophysikalische Untersuchungen
mitgeteilt
worden war.
Gleichwohl dürfte nach W. Böckmann – und damit
im
Gegensatz
zu Ritter-Schaumburgs Überzeugung – die wegen ihrer
bemerkenswerten
Stärke bekannte Königin wohl kaum Grund gehabt haben, I(l)senstein
nach dem Tod ihrer Eltern aufzugeben und sich in die Hände ihres
auf
der tiefer gelegenen Heimburg sitzenden übellaunigen Verwandten zu
begeben (Sv 14). Zwar könnte, so die kritische Nachbetrachtung,
diese
fürstliche Burg zu den damaligen Besitztümern der
Königin
gehört haben, doch die weitaus repräsentativere Lage, nicht
zuletzt
über einen ca. 1,8 km langen Burgaufgang, sollte an jenem
„Isenstein“
mit seinen noch erhalten gebliebenen Burgfelsen zu finden sein.
|
|
Der
Konus der Heimburg
(Bildmitte) in strategisch wichtiger Lage.
|
Das
Harzgebirge hinter
der Heimburg.
|
Bildquelle
Fotos: Verfasser.
|
|
Pferdekapitell
Krypta
Drübeck.
|
Die
Heimburg von
Merian, 1654. Grundriss
|
Die traditionsreiche aber dennoch eigenartige
Pferdezucht
... in
Hainen und lichten Wäldern, so Tacitus in seiner Germania
(Kap. 27) belegt auch das Pferdekapitell der Krypta in der
Klosterkirche
Drübeck, die in jenem nur etwa 3,5 km vom Ilsenstein gelegenen
Nachbarort
gegründet worden war. Von diesem ist die Heimburg übrigens
viermal
weiter entfernt.
6 Didrik: Dietrich
von Bern
Didrik wird in einem Alter von unter 20 Jahren
als „König von Bern“ ausgerufen. Nach einer massiven Drohung
von seinem in Trier = Roma secunda residierenden
Blutsverwandten Ermenrik begibt sich der erwachsene
Didrik mit seinem Gefährten Hildebrand in ein längeres Exil
zu König Atala in Susa(t). Der für
fränkische Geschichtsschreiber offenbar
unerreichbare Rheinfrankenkönig nutzt die
Gelegenheit, ihn bei dessen Ostkriegen mit Rat und Tat maßgeblich
zu unterstützen. Der ostrheinische Herrscher mit Sitz in Susat
= Soest
hilft ihm später bei seinem Feldzug gegen
Ermenrik. Doch nach der Schlacht an der Moselmündung (Gransport)
verzichtet Didrik wegen
erlittener hoher persönlicher Verluste – hier sterben ein
Blutsverwandter
und zwei Abkömmlinge aus König Atalas Familie – scheinbar
freiwillig auf den Herrschertitel von Trier.
Orte der
Þiðreks saga nach
Ritter-Schaumburg und
anderen Forschern.
Nach der vernichtenden Niederlage
der Niflungen in Soest verlässt Didrik diesen Ort, zieht
zunächst
in sein angestammtes Berner Reich, rekrutiert hier sein neues Heer und
trifft
schließlich bei Graach an der Mosel auf die Truppen von Ermenriks
Ratgeber Sevekin, den er leicht schlagen kann. (Dazu mehr im
Verfasserbeitrag Die
Mosel
im Licht von Thidrekssaga und Dietrich-Chronik.) Wie die
altnordischen
und altschwedischen Scriptoren weiter berichten, zog er unmittelbar
danach
in „Rom“ (= Trier) ein, wurde dort gekrönt und
regierte schließlich ein
noch größeres Reich. Didrik stirbt nach
Ritter-Schaumburgs chronologischen Identifikationen gegen 535.
7
Hagen
Hagens Vater kann den Garten der sicher
bestens bewachten
Königsburg für ein Schäferstündchen unbehelligt
aufsuchen!
Er dürfte also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am
Hof bekannt sein und dort ein und aus gehen. Sein selbstsicheres und
verheißungsvolles
Auftreten (Svava: Sv 161) passt zu einem Druiden: Das Wirken
eines
keltischen Priesters am Heimatsitz der Niflungen lässt sich aus
typischen
Ortsnamenrelikten in dem weiter oben lokalisierten Voreifelbereich
unterstellen.
Hagens Herkunft – die offensichtlich ererbte Apposition seines Namens –
bezeichnen die Handschriften gelegentlich mit „von Tröya“ (Sv 340)
oder auch „von Troja“ (Membrane: Kap. 395). Wohl aber scheint
erheblich plausibler, dass Hagens (un)mittelbare Vorfahren nicht aus
der urbanen
Xantener
Traiana oder gar dem griechischen Troja auswanderten, sondern der
väterlich
übernommene Beiname eher auf Troyes der Champagne-Ardenne
hindeuten darf. Gemäß seiner altrömischen Bezeichnung Augustobona
Tricassium war dieser Ort das überregional herausragende
keltische
Zentrum der Trikassen.
Hagens altnordische
Schreibweise ist
traditionell Hǫgni,
dessen diakritisches Ogonek-Schriftzeichen
jedoch nicht nur im
Deutschen entweder vernachlässigt oder, der Lautform nach jedoch
verfälschend, durch ein Trema („Umlaut-Doppelpunkt“) ersetzt
wird.
8
König
Isungs
Land
... Sie ritten durch große
Wälder
und
Heiden
...
Die quelltextliche Beschreibung des Landes
von
König
Isung trifft mit bemerkenswerter Genauigkeit auf die Lüneburger
Heide
zu: Das königliche Schloss vermutet Ritter-Schaumburg auf
dem Kalkberg
in Lüneburg.
|
Der
Kalkberg zu Lüneburg
von Merian.
|
Übrigens sagt Sigfrid zu seinem
König
(Sv 185)
– ohne dass eine entsprechende Vergleichsmöglichkeit eröffnet
worden war –, dass auf dem Schild eines Ankömmlings „auch
ein Löwe aus Gold mit Krone steht.“ König
Isung
führt also ein identisches Wappen, wie es bis in die Gegenwart von
solchen Dynastien verwendet wird, die jenes Gebiet zwischen
Braunschweig
und Lüneburg beherrschten.
9
Sigfrid
und Grimhild
(und König Atala)
Über irgendeine gegenseitige
Zuneigung
für
eine
Liebesheirat zwischen Sigfrid und Grimhild wird nicht berichtet!
Aus den Heldenliedern der Edda geht sie als
als Gudrun hervor.
Zum Zeitpunkt ihrer Heirat des
Hunaland-Königs
Atala
mag sie Anfang 40 gewesen sein und mit ihm – unter der Voraussetzung
verhältnismäßig
günstig verlaufender Lebensumstände und einer entsprechenden
genetischen Veranlagung – gerade noch einen Sohn gezeugt haben
können.
Hier sollte jedoch auch hinterfragt werden, ob sie mit König
Atala
tatsächlich den scheinbar einzigen leiblichen Thronfolger für
die offenbar geplante Provokation zur Niederschlagung der
Niflungen-Gäste
opfern wollte. Sollte es sich hierbei nicht um einen fiktiven
literarischen
Einschub handeln, so könnte dem oder den überliefernden
Zeitzeugen
ein Abkömmling von einer Konkubine Atalas als Grimhilds Sohn vor
Augen
geführt worden sein.
Interessant klingt auch ein Passus in
einem
eddischen Heldenlied
wonach König Atli deswegen eine geschwätzige Hofmagd
bestrafen
ließ, weil sie von einem gemeinsam geteilten Nachtlager von Gudrun
mit dem in der Residenz ihres Gemahls weilenden Thiodrek
gewusst
haben wollte.
Dagegen steht für die aus den
Quelltexten abgeleitete Niflungen-Genealogie
zweifelsfrei fest, dass der offenbar früh verstorbene
Niflungen-Vater Irung (sonst „Aldrian“)
nicht mehr Grimhilds jüngsten „Bruder“ Gislher gezeugt haben
konnte
und Königin Oda mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht seine
Mutter
gewesen war, wie Ritter-Schaumburg zu Recht angemerkt hat.
10
Schlangenturm und Irungsmauer
Die mittelalterliche Existenz eines
Soester palatium sive turris,
dem allerlei „Getier und Reptilien“ als Behausung zugeschrieben wurde,
ist historisch belegt. (J. S. Seibertz, Urkundenbuch
zur Landes- und Rechtsgeschichte
des Herzogthums Westfalen, I, (1839) S. 104.)
Hinsichtlich des Soester „Schlangenturms“ (altnord. ormaturn)
darf jedoch längst nicht gefolgert werden, dass ein mit diesem
Gebäude
assoziierter Bereich in erheblich früherer bzw.
von Ritter-Schaumburg erkannter Zeit gar unmöglich war;
vgl. etwa jenen
„Schlangengarten“ schon
in der heldeneddischen Atlakviða. Daneben können
aber auch andere in den Soester Erzählungen
erwähnte hochmittelalterliche Örtlichkeiten, so der
zur Residenz
gehörende Garten und jener „Irungsweg/Steinweg“ oder jene
„Irungsmauer/Steinmauer“, wohl kaum
ausführungsgleich um ein halbes Jahrtausend früher angenommen
werden. Somit kann dieser raumzeitliche Überlieferungskontext eher
weniger
für die Konstruktion eines Widerspruchs gegen ein potenzielles
oder „putatives“ migrationszeitliches Schlachtereignis des 6. Jhs.
verwendet werden.
Im Gegensatz zu einer kurzsichtigen Kritik an
Ritter-Schaumburg wird man vielmehr die Möglichkeit in Betracht
ziehen
können, dass
der hochmittelalterliche wie offenbar im späteren Westfalen
ansässige Überlieferer nur unzureichend von
zeitlich weit zurückliegenden baulichen Details in seinem
Heimatzentrum
wusste und sich daher – anhand gegenwärtiger Verhältnisse –
an eine
mangels sonstiger chronistischer Quellen nicht widerlegbare
fränkisch-sächsische Schlacht im 6. Jh. rekonstruktiv
erinnerte. Oder
erzählungsperspektivisch anders gesagt: Aus
seiner Darstellung bzw. Quelle, dass „einst Hǫgni
und Irungr unweit von
einem/»unserem«
apaldrsgarðr,
grasgarðr oder homgarðr -*bomgarðr
gegeneinander
kämpften“, konnte das nach mittelalterlichem
Überlieferungsverständnis offenbar weniger dringliche und
hier einleitend gesetzte Zeitadverb vernachlässigt worden
sein.
Der Kieler Universitätsprofessor Dietrich Hofmann
schreibt zu Ritter-Schaumburgs massiver Revision einer vielmehr
nördlicheren Nibelungengeschichte: |
|
"Attilas
Schlangenturm" und der
"Niflungengarten" geben
nach dem, was die Þiðrek saga über sie sagt, Anlaß
zu zwei
Aussagen über die Geschichtsauffassung der Soester im Mittelalter:
1. Sie hielten sagenhafte Geschichten – noch dazu fremden
den Ursprungs für historische Berichte aus der Geschichte ihrer
eigenen Stadt. 2. Über die wirkliche Geschichte ihrer Stadt
vor 200 und mehr Jahren wußten sie wenig oder nichts [...]
|
|
und argumentiert dazu wenig später: |
|
Die beiden Aussagen
sind nun aber doch
noch etwas zu
modifizieren. Zum einen wird man annehmen dürfen, daß manche
Menschen in Soest und anderswo über die wahre Geschichte der Stadt
besser Bescheid wußten als der Erzähler der
Niflungengeschichte. Schon wegen der Besitzverhältnisse
müßte man wohl nicht nur beim Erzbischof in Köln,
sondern auch in der Soester Geistlichkeit über den "Schlangenturm"
richtiger informiert gewesen sein. Es ist aber damit zu rechnen,
daß der Glaube an die Historizität der Niflungengeschichte
als Soester Lokalgeschichte in der Bevölkerung weit verbreitet und
stark verwurzelt war. Sonst hätte der Erzähler sich nicht so
überzeugt äußern können, und diese Version hatte
sich ja offenbar auch weit über Soest hinaus verbreitet. Einzelne
"Intellektuelle" kamen dagegen nicht an. Die mündliche Tradition
war im Mittelalter eine große Macht, weil man sie für
historisch hielt und weitgehend halten mußte. Jahrhunderte –, ja
jahrtausendelang hatte es überhaupt keine andere Art der
Geschichtsüberlieferung gegeben, und die sich erst allmählich
entwickelnde schriftliche Überlieferung war den meisten Menschen
nicht zugänglich, so daß sie kaum Möglichkeiten hatten,
die zur Sage gewordene mündliche Überlieferung an den
historischen Fakten zu überprüfen und zu korrigieren. Deshalb
treffen die oben gemachten Aussagen zur Geschichtsauffassung der
Soester Bürger im 12./13. Jahrhundert nicht diese allein, sondern
dürften für die Geschichtsauffassung breiter
Bevölkerungsschichten im Mittelalter allgemein typisch sein.
Durch eine weitere notwendige Modifikation der beiden
Aussagen bekommt Ritter bis zu einem gewissen Grade doch noch Recht.
Man muß nämlich auch die Frage stellen, wie es
überhaupt dazu hatte kommen können, daß die Soester
fremdes Sagengut als eigene Geschichte rezipierten. Die Existenz alter
Mauerreste und eines verlassenen Turms, in dem Schlangen hausten,
reicht allein sicher nicht aus, um das zu erklären. Man kommt hier
nur weiter, wenn man annimmt, daß es in Soest schon vor der
Rezeption der Nibelungensage alte Erzähltraditionen gegeben hatte,
die man für historisch hielt, Geschichten etwa über einen
mächtigen König in vorchristlicher Zeit, über schwere
Kämpfe an der Westmauer der alten Stadtkernbefestigung usw.
Ähnlichkeiten im Handlungsverlauf und in der Personenkonstellation
könnten dazu geführt haben, daß man die Nibelungensage,
die vor allem von fahrenden Sängern in der Form von Liedern in
ganz Deutschland und darüber hinaus verbreitet wurde, in Soest mit
Geschichten der eigenen Tradition – auch sie wohl in Liedform –
identifizierte. Gleiche oder ähnliche Namen handelnder Personen
konnten die Identifikation und somit die Rezeption der Nibelungensage
natürlich wesentlich fördern.
Von daher gesehen ist es keineswegs abwegig – wenn auch
rein hypothetisch –, auch den Namen At(t)ano
auf der Soester
Scheibenfibel (Ende des 6. Jhs․) in die Diskussion einzubringen, wie
Ritter es getan hat (S. 207ff.). In mittelniederdeutscher Zeit
wäre *Attene daraus geworden, eine Namensform, die sehr
wohl Anlaß zu einer Identifikation mit Attila hätte geben
können – dies übrigens eine literarisch
beeinflußte Namensform, die zeigt, daß bei der Darstellung
der Þidreks saga ein bißchen Gelehrsamkeit im Spiel war,
die aber den Glauben an die Richtigkeit der mündlichen Tradition
offenbar nicht beeinträchtigte [...] Entsprechendes wie
für
den Soester Teil der Niflungengeschichte gilt natürlich auch
für deren in anderen Orten und Gebieten Westfalens und des
Rheinlandes lokalisierte Bestandteile, über die Ritters Buch – wie
schon seine vorausgegangenen Aufsätze – wichtige Erkenntnisse
bringt. Natürlich konnten auch die Geschichten in den Bannkreis
der Nibelungensage geraten, zu denen es keine Entsprechungen in ihr
gegeben hatte, so möglicherweise eine Lokaltradition über den
eingemauerten Toten im Hoh(l)en Stein von
Kallenhardt im
Sauerland, die auf Attila übertragen worden sein könnte.
|
|
(Dietrich
Hofmann, "Attilas
Schlangenturm" und
der "Niflungengarten" in Soest,
Jahrb. des Vereins f. niederdt. Sprachforschung 1981, Nr. 104. Zitat
S. 44–45.)
|
|
|
Der alte Stadtkern mit
Höhenlinien nach einem Katasterplan von 1830. Dietrich Hofmann
führt in seinem vorgenannten Artikel auf S. 40 eine
hochmittelalterliche Rekonstruktionszeichnung von F. W. Landwehr an;
vgl. dazu Ritter-Schaumburg 1981:193. Zur Überlieferungslage
identifiziert er jedoch nicht den Turm der bischöflichen
Residenz („Pfalz“) als „Gunnar’s
Schlangenturm“, vgl. S. 199–203.
Nach den Quelltexten war Hǫgni in Soest die offensichtlich
beeindruckendste kämpferische Erscheinung. So zu nennen der
Durchbruch der westlichen Mauer, der Kampf gegen Irung und
schließlich Þiðrek, dann die Zeugung eines Sohns, der
Rache an dem Patron bzw. „Ata“ von Soest verüben sollte. Mit
Troyes, das als Herkunftsort von Hǫgni vorgeschlagen wurde, besteht
ein nicht uninteressanter Bezug auf diesen seinerzeit
fränkischen Ort, aus dem der Kölner Erzbischof Bruno
über die Jahre 962 bis 964 die Reliquien des heiligen Patroklus
nach Soest als dessen neuen
christlichen Patron überführen ließ. |
|
Der frühere Soester Bürgermeister Heinrich
ten Doornkaat
Koolman schreibt in seiner Publikation Soest die
Stätte
des Nibelungenunterganges? (Rochol Soest 1937, siehe S. 10–11)
zu den Relikten einer am ehemaligen Pfalzgebäude gefundenen
älteren oder
vergleichsweise ältesten Maueranlage: |
|
Wie in der Zeitschrift des
Soester
Geschichtsvereins
Nr. 14 Seite 22 ff. berichtet wird, kamen 1884 bei den
Ausschachtungsarbeiten für ein neues Pfarrhaus an der Ecke des
Petrikirchhofes und der Hospitalgasse alte Mauerreste zum Vorschein.
Gücklicherweise hat man den Fund sorgfältig aufgemessen, und
eine von dem Baumeister Lange am 16.7.84 angefertigte
maßstäbliche Zeichnung ist in dem Heft 14 S. 24/25
wiedergegeben.
Danach hat eine von Norden nach Süden
verlaufende, 1,80 m in die Tiefe reichende Mauer den Petrikirchhof von
dem zum Hohen Hospital gehörenden Gebiet geschieden. In einer
anschließenden von Osten nach Westen verlaufenden, aus
großen behauenden Quadern aufgeführten Mauer von reichlich 1
m Dicke befanden sich unter der Erdoberfläche zwei etwa 2,20 m
hohe und etwa 1,80 m weite rundbogige Torbogen. Weiter befand sich
ein Haufen Bauschutt untermischt mit Resten verkohlten Gebälks.
In dem Bericht ist weiter vermerkt, diese Mauer
müsse zum Hohen Hospital in Beziehung
gestanden haben,
wenn sie auch keineswegs einen Teil des Gebäudes gebildet habe.
Dafür, daß dies nicht der Fall gewesen, spreche die
völlige
Verschiedenheit des Mauerwerks.
Dies Alles deutet auf eine ältere
Burganlage hin, die vor der Errichtung der merowingischen Pfalz
bestanden hat.
Ritter-Schaumburg ergänzt (1981:198, allerdings ohne
Quellenangabe), dass man nach einer weiteren
Grabung des „Historischen Vereins“ von 1951/52 noch unter dem
Fundamentniveau der alten Pfalz auf eine ca. 2,5 m dicke Mauer
gestoßen war. Nach den darunter ergrabenen Schichten mit
Verkohlungsrelikten
und „wahllos zerstreuten menschlichen Knochenresten“ wurde in dem von
ihm zitierten Grabungsbericht auf „schwere Kampfhandlungen im
frühen Mittelalter“ geschlossen.
|
|
Lageplan
des Mauerfragments und dessen Rekonstruktionszeichnung aus der von
Doornkaat Koolman zitierten Quelle.
|
Der
Friesen-Chronist Suffridus
Petrus, mit bürgerlichem Taufnamen Sjoerd Pietersz, berichtet in
seinen z. T. recht patriotisch verzerrten De
Frisiorum antiquitate et origine libri tres über die
fränkische Belagerung und
offenbar endgültige Eroberung von Soest
erst unter Dagobert I. Er soll mit diesem Feldzug, wohl zwischen 623
und 625, dem Willen seines noch lebenden wie ihn auch
unterstützenden Vaters Chlothar II. gefolgt sein. Wie Suffridus in
seinem zweiten Buch schreibt (Kap. 15), soll
der aus einem scheinbar friesischen Geschlecht stammende und über
den Soester Raum befehlende Yglo Galama mit Dagoberts
Streitmacht konfrontiert worden sein.
|
11
Nibelungenhort
– Sigfrids Nibelungenschatz
Setzte man tatsächlich seine
Existenz in
Auslegung
der altnordischen und altschwedischen Quelltexte voraus, dann
müssten
zum übertragbaren Kontext mindestens die folgenden Voraussetzungen
erfüllt sein:
1. |
Die Entfernung des
Schatzhortes
vom
Ausgangspunkt, der
Soester Residenz, müssen zu Pferd ein etwa zwölfjähriger
Junge und ein alternder oder leicht altersschwacher König ohne
weitere
Begleitung und ohne große Mühe bewältigen
können. |
2. |
Lage und Zugang der Kammer dürfen im
Gelände
wegen
ihrer
guten Tarnung nicht so leicht zu erkennen sein. |
3. |
Die Kammer muss die verschütteten
Überreste eines
entsprechend
lange Verstorbenen enthalten. |
4. |
Die Lage des Verstorbenen darf nicht auf eine
Bestattung schließen
lassen. |
5. |
Der Verstorbene darf kein jüngerer Mann mehr
gewesen
sein und
muss auf jenen Zeitbereich datiert werden können. |
6. |
Die beim Verstorbenen noch zu findenden
persönlichen
Gegenstände,
eventuell auch Schmuck, müssen zu einem auf geheimem wie
friedlichem
Ausritt befundenen Herrscher des 6. Jahrhunderts passen. |
Eine solche Höhle wurde bereits im
Jahr
1926
zu Kallenhardt bei Warstein wissenschaftlich erschlossen:
In der schlauchförmigen Kammer
dieses
sogenannten Hohlen Steins lag ein unbestatteter Toter in einer
ungestörten
Schicht; aber so, dass eine Bestattung an dieser Stelle ausgeschlossen
war. Sein Alter wurde auf etwa 50 Jahre datiert. Die bei seinem Skelett
gefundenen Schmuckstücke (Runenfibel, Armreif, Fingerring,
Knöpfe)
lassen nach den seinerzeit von Prof. Stieren und Dr. Julius Andree
geleiteten
Ausgrabungen sowohl auf die vornehme Herkunft des Toten als auch auf
die
geforderte Epoche schließen. Bei einer erneuten Grabung im Jahr
1933
kamen am Westeingang der Höhle noch die Reste einer
Falschmünzerwerkstatt
aus dem Dreißigjährigen Krieg zum Vorschein. Der Fingerring
des Toten zählt übrigens zum Bestand des Landesmuseums
Münster,
die restlichen Stücke zu den Museen in Lippstadt und Olpe.
Ritter-Schaumburg
vermerkt in seinen Ausführungen unter Berufung auf ein
Gespräch
mit Dr. Andree, Prof. Stieren „habe (zur Kallenhardter
Entdeckung) mit
Vielem zurückgehalten“.
Wohl deswegen sah einer der bei der
Ausgrabung
Anwesenden
– der heimische Ortshistoriker und spätere Schuldirektor Eberhard
Henneböle – genügend Veranlassung, noch gesondert über
diesen
Fund zu berichten (Die Vor- und Frühgeschichte
des
Warsteiner
Raumes
in: Beiträge zur Warsteiner Geschichte, Heft 2, 1963).
Ritter-Schaumburg
verfasste am 7. Juli 1987 diesen Nachtrag zum bronzenen
Fingerring des Toten:
|
Der
verschwundene
Bronzering mit der »Kreuz«-Verzierung
ist wiederaufgetaucht. Er befindet sich jetzt im Museum in Olpe
(Sauerland).
Er wurde von dem Archäologen Dr. Hömberg als »ein
üblicher
Ring des 6. und frühen 8. Jahrhunderts« eingestuft. Damit
gehört
er in die gleiche Zeit wie die Funde in den Soester
Frauenkammergräbern.
Bisher hatte man die Fundstücke im Hohlen Stein in die Zeit um und
vor Christi Geburt datiert. Das trifft also auf den Bronzering nicht
zu.
Im übrigen kann ein Schatz, den »viele Könige und
Herren
zusammenbrachten«, auch sehr alte Stücke enthalten haben.
Den Ring umlaufen 6 Einritzungen,
fünf Schrägkreuze
und ein Schrägstrich. Das können keine Verzierungen sein,
weil
ihnen die Regelmäßigkeit fehlt. Auch die Schrägkreuze
sind
ungleichmäßig: die Striche sind verschieden lang und die
Schnittpunkte
einmal mehr auf dieser Seite und dann wieder mehr auf der anderen. Sie
berühren sich auch nicht. Ich halte sie daher für Runen. Es
ist
die Glücksrune X (G), wie sie auch auf der Soester Rundfibel eine
wichtige Rolle spielt, und sie ist also etwa gleich alt mit den
dortigen
Runen. Es sind 5 Schrägkreuze, so viele, wie der Fibel-Name ATANLO
Zeichen hat, und es könnte eine Beziehung zu diesem Namen gemeint
sein. Der Schrägstrich beendet diese Reihe und ergänzt zur
Sechszahl.
Der Ring ist ein Hinweis dafür, daß zwischen den
Geschehnissen
im frühen Soest und denen im Hohlen Stein eine Beziehung besteht.
Gegen die Mutmaßungen von
Eberhard Henneböle und Heinz Ritter-Schaumburg über die
Identität des migrationszeitlichen Toten ist
jedoch einzuwenden, dass weder ein Nachweis für sein „Herkommen
aus Soest“ noch irgendein überzeugender Beleg für dessen
Beziehung zur Thidrekssaga vorgelegt werden konnte.
|
|
|
Gemauerte
Wand x
Fundstelle des Toten |
A
|
Verfasserkopie
vom Höhlengrundriss/Lageplan. Nach Angaben des Ortshistorikers
Eberhard
Henneböle. |
Bildquelle
Fotos: Verfasser. |
Den Quellenwert der historiografischen
Handschriften mit oberdeutschen Reimfabeln
abwägend
haben von institutionalisierter Nibelungengeografie nicht vereinnahmte
Forscher das nordöstliche Voreifelgebiet als den
ursprünglichen
Heimatbereich der Nibelungen–Niflungen erkannt. Auch
Hobby-Historiker und Schatzsucher
Rudolf Patzwaldt will selbst anhand des Nibelungenlieds den Eifelraum
als
jene schicksalsträchtigste Region von Sigfrid und den Nibelungen
herausgelesen
haben. Allerdings befürchten nicht nur Berufsgermanisten, dass
Patzwaldt
nach seiner Verortung eines Rheinbach-Locher Schatz(h)orts der Fachwelt
und
natürlich
auch einem zunehmend interessierten Publikum die Präsentation
eindeutiger
Grabungsergebnisse schuldig bleiben wird. Und dies mag auch die
Hoffnung
oder Erwartung derjenigen Forscher sein, für die Ortsgeschichte
und
Namengebung im Eifelraum und in niederrheinischen Bereichen nicht vor
deren
frühester urkundlicher Verfügbarkeit stattfinden darf und die
in ihrem unerschütterlichen Restglauben an oberdeutsche
Reimdichtung
südlichere Rheinbereiche um den fabulierten Nibelungensitz Worms
vorrangig
favorisieren.
»Nibelungentode in
Xanten«: Mehr über
die Versenkung eines Nibelungen(h)orts (Kommentar)
12
Grabmale, Soest 6.–7. Jahrhundert
Wenn man der fernen Nachwelt mit
seinerzeit
zur Verfügung
gestandenen Mitteln eine zeitbeständige Botschaft über die in
Soest zugetragenen Geschehnisse hätte zukommen lassen wollen, so
bestünde
hierzu leider die Wahl der äußerst begrenzten
Möglichkeiten.
Damals wie auch in anderen Epochen
war
es
jedoch – glücklicherweise
– üblich, hervorstechende Persönlichkeitsmerkmale durch
entsprechende
Grabbeigaben zu unterstreichen.
Wie hätte man in diesem Sinne
für
die
Soester
Königsfamilie verfahren können?
Minimalvoraussetzungen:
1. |
Männliches
Königsgrab
nicht
vorhanden, denn
Atala starb nach der Niflungensaga in Sigfrids Schatzkammer. |
2. |
Neben einem Frauengrab
ein
Knabengrab, denn
Grimhilds
und Atalas Sohn Aldrian starb überlieferungsgemäß
durch Hagens
Hand. |
3. |
Ein Frauengrab, das der
Beischläferin auf
Hagens
Sterbelager,
müsste ein Schmuckstück mit
Schlüsseldarstellung oder diesen als reinen Gegenstand enthalten,
denn
Sigfrids
Schlüssel
vom Schatzhort ist ein markantes Soester Symbol für König
Atalas
Tod. |
4. |
Das vorgenannte Frauengrab
sollte
andernfalls oder
zusätzlich
ein Symbol enthalten, das die Verbindung mit Hagen (ein
ungekrönter
Adler ziert
sein Wappen) zur Zeugung seines Sohnes Aldrian verdeutlicht. Er soll
später
tödliche Rache am Soester König verübt haben. |
Im
Frühjahr 1930, ca. 1 km südlich des alten
Soester Stadtkerns, wurden bei Ausschachtarbeiten Kammergräber
gefunden,
die ebenfalls unter der Leitung von Prof. August Stieren ausgehoben und
untersucht wurden. Abgesehen von hierzu erforderlichen
zeitgenössischen Voraussetzungen erfüllen die
Grabungsergebnisse zumindest grundsätzlich die vorgenannten
Bedingungen:
Zwischen
zwei sehr vornehmen Frauengräbern, darunter das „königliche“
(Nr. 106),
befand sich ein verhältnismäßig kleines männliches
Grab
(„Jungengrab“ Nr. 17),
das wegen seiner Beigaben ebenfalls einen hohen Rang des offenbar jung
Verstorbenen auswies.
Soester Kammergräberbestand.
Gräber
1, 13, 18, 165, 170, 180: Frauenbestattungen. Beigaben im männl.
Grab 179: Waffenteile aus Eisen.
Das Frauengrab Nr. 106 stammt nach einer
Strontiumisotopenanalyse von einer in der Soester Region aufgewachsenen
Frau und ist daher wohl nicht Grimhilds letzte Ruhestätte. Nach
zwei altnordischen Überlieferungen, der Atlakviða
und den Atlamál, überlebte Grimhild =
Gudrun die Schlacht ihrer Brüder am Sitz ihres Gemahls Atli und
heiratete später, so nach der älteren Atlakviða und auch
der später verfassten Vǫlsunga saga, noch ein drittes Mal einen
König. Nach dem Nibelungenlied soll Grimhild von Hildebrand
erschlagen worden sein, jedoch nach der Thidrekssaga und den
altschwedischen Texten von Dietrich selbst. Somit scheint nahe
liegend, dass ihr Tod in diese Überlieferungen
hinzugedichtet wurde.
Die gegen Ritter-Schaumburg vorgebrachte
Detailkritik zum
Schlüssel oder auch anderer Beigaben im Frauenkammergrab Nr. 105
(Punkte 4–5, siehe auch Abb. unten) erscheint
insofern inkonsistent, als es sich bei der
Schlüsselbeigabe sehr wohl um entweder dessen lediglich
symbolische
Nachbildung oder andernfalls (in Originalausführung) um den Tod
und
Bestattungszeitpunkt der Verstorbenen nach Aldrians Rache handeln
könnte. Da zumindest ein Teil dieser Holzkammergräber
ursprünglich zu einem Tumulus
gehört haben muss (A. Stieren) und im Frauenkammergrab Nr. 105
Standspuren einer
Holzbank nachgewiesen wurden, könnte dieser Ort begehbar
gewesen
sein.
Für ein numismatisches Datierungsfenster für andere
Grabkammern aus der gleichen Periode wäre demnach auch zu
beachten,
dass
Hinterlassungen von diversen Grabbeigaben (so auch der
Justinian-Goldmünze)
nicht unbedingt zum Bestattungszeitpunkt erfolgt sein müssen.
Die goldene Almandinenfibel
Diese sogenannte Granat- bzw.
Cloisonné-Runenscheibenfibel
(Grabkammer 106) trägt diverse Runenbotschaften
auf ihrer goldenen Rückseite und hat daher besondere
Forschungsinteressen – auch hinsichtlich ihrer Entstehungszeit –
geweckt. Bei dem neben ihr gefundenen und
auffälligerweise kaum Gebrauchspuren aufweisenden
jüngeren
Solidus
aus dem „königlichen“
Frauengrab handelt es sich um einen Solidus vom oströmischen
Kaiser Justinian I (527–565). Die andere in dieser Grabkammer
gefundene, jedoch
erkennbar abgegriffene ältere Goldmünze gedenkt Kaiser
Valentinian I.
Bereits um 524/525 haben sich Theuderich I. und
sein
späterer Bischof Gallus um
die Beseitigung heidnischer Götterverehrungen im Kölner Raum
bemüht und dabei einen weiträumig aufgesuchten Tempel
in Flammen gesetzt. Um und nach 530/531, so die Datierung aus
fränkischen und sächsischen Quellen, soll dieser
Frankenkönig
seine ostrheinischen bzw. thüringischen Eroberungszüge bis in
den Harzraum ausgedehnt haben. Andererseits, wie bereits oben
erwähnt, berichtet der Friesen-Chronist Suffridus Petrus über
die scheinbar endgültige fränkische Eroberung des Soester
Raumes erst
unter Dagobert I. Das wohl in einem westfränkischen Bereich
geschriebene Liber
historiae Francorum (41) überliefert
nahezu zeitgleich einen Weserlauf als fränkisch-sächsische
Demarkationslinie. Insoweit würde die offenbar komplexe
Datierungsperiode
zu den termini a quo &
ad quem rund ein Jahrhundert betragen. Zum anderen verdeutlicht
jedoch Gregor von
Tours die nachhaltige Christianisierung von Trier um das Jahr 525 durch
Theuderich, womit man davon ausgehen könnte, dass zum
Regierungsantritt seines Sohnes, also rund ein Jahrzehnt später,
sich auch Köln bereits längst unter christlicher Herrschaft
befand.
Insofern bestünde also eine eher geringe Wahrscheinlichkeit, dass
nach dieser Zeitmarke
die Runenritzungen auf dieser Fibel noch im linksrheinischen Raum
hergestellt wurden.
Zu den ostfränkischen Herrscherperioden
erscheinen die
bis in das frühe 7. Jahrhundert reichenden Datierungskontexte und
Aussagewerte der Cloisonné-Runenscheibenfibel (Soester
Grabkammer 106 im
Zusammenhang mit fränkischen Bestattungsmerkmalen) unter der
zeitparallelen Annahme einer bereits hier oder in einem
südwestlicheren Bereich erfolgten Christianisierung von
Herrscherstrukturen – so auch die raumzeitlich ungeklärte
Fibelherstellung bzw. ihre „jüngste
Runenritzung“ betreffend – jedoch keineswegs unproblematisch. Zur
zeitrelativen Chronologie dieser „Almandinenfibel“
von Grab 106 folgert Daniel Peters im Rahmen einer Nachuntersuchung des
frühmittelalterlichen Soester Gräberfeldes, dass deren
Abnutzungsspuren und mehrphasige Beschriftung mit Runen für eine
spätere Deponierung eines benutzten
persönlichen Besitzes sprechen (2011:151).
Zu
dem
sog. „Runenkreuz“ bzw. mit dessen OTHALA-Besitzsigno
hochspekulativ unterstellten
„Runenmeister-Monogramm“ (vgl. Ritter 1981:209–212 mit
Percy
Ernst Schramm, Herrschaftszeichen
und Staatssymbolik, I, 16,136–137,216–217,221) stellt
Peters unter Hinweis
auf andere Untersuchungen fest, dass dieses Runenkreuz als eine Art
Verschlüsselung oder Geheimzeichen zeitnah nur in einem weiteren
Fall, dem Schretzheimer Männergrab 79 der zweiten Hälfte des
6. Jhs., bekannt geworden ist und dort anhand der Kenntnisse der
Soester Inschrift entziffert wurde (2011:57).
Bereits zuvor hatte Peters mit Quellenverweisen angegeben, dass eine
wenige Funde umfassende frühe Gruppe im nordgermanischen Gebiet
bis etwa 500 n. Chr. begegnet, die Soester Fibel ist dagegen einem
schwerpunktmäßig in Südwestdeutschland verbreiteten
Horizont von etwa 60–80 Inschriften zuzuordnen, die auf
Gegenständen der relativ kurzen Zeitspanne von 530/40 bis 600/20
n. Chr. vorliegen (2011:55).
Der Archäologe Max E. Martin bringt mit
Runenritzungen versehene Fibeln eines (noch frühchristlichen)
fränkischen Horizonts in engen Zusammenhang mit dem „Beginn
merowingischer Runendarstellungen um 530/540 n. Chr.“, wobei er einen
geokulturellen Kontext mit der unter
Theuderich I. erfolgten Eroberung (von weiten Teilen) des
Thüringerreiches und der
in weiter nördlicheren Regionen noch verwendeten Runen aufzeigt.
Zu den typischerweise in Süddeutschland gefundenen
Bügelfibeln mit Runeninschriften gibt Martin zu bedenken, dass
eine möglicherweise mit nördlicheren Herrschern verwandte
Führungsschicht zur Verbreitung dieses Broschentyps
beigetragen haben mag. Bemerkenswert sind zudem die Angaben
von Martins Fachkollegen Volker Bierbrauer über eine im
Schwarzwald gefundene Fibel (Dunningen,
Kirchengrab 17), deren Grundstruktur
ebenfalls von fünf konzentrisch angeordneten Kreisen gebildet
wird. Der Mittelkreis dieser Fibel ist gegenüber der Soester
Ausführung
jedoch deutlich gewölbter ausgeführt, was die jüngere
Datierung des süddeutschen Exemplars (um 600 n. Chr.)
rechtfertigen könnte.
Zur Absicherung von relativchronologischen
Zeitschätzungen wurde eine verlässliche
physikalisch-chemische
Altersbestimmung von Skelettfragmenten und anorganischem Material der
oben explizit genannten Soester Kammergräber entweder bislang
nicht
vorgenommen oder andernfalls nicht zugänglich gemacht. Generell
muss allerdings auch von einem relativ weiten Zeitfenster von durchaus
mehreren Jahrzehnten für entsprechend „zeitepochal-relative“
Funddatierungen des 6. Jahrhunderts ausgegangen werden. Nach
numismatischen Gesichtspunkten könnte die jüngste Münze
aus der Grabkammer 106 (Justinian-Solidus) bereits um die
Mitte des 6.
Jahrhunderts für eine fränkische Akquisition verfügbar
gewesen sein.
Quellen:
|
|
Volker Bierbrauer: Alamannischer
Adelsfriedhof und frühmittelalterliche Kirchenbauten von St.
Martin in Dunningen in: Heimat an der Eschach, 1986 S.
19–40. |
|
Max Martin: Die Runenfibenn
aus
Bülach Grab 249 (...) in:
K.
Stüber, A. Zürcher (Hrsg.), Festschrift f. Walter Drack
(...). Zürich 1977, S. 120–128; ders.: Kontinentalgermanische
Runeninschriften und „alamannische Runenprovinz“ aus
archäologischer Sicht in: Alemannen und der Norden
(...) RGA Ergbd. 43 2004 S. 165–212. |
|
Daniel Peters: Das
frühmittelalterliche Gräberfeld von Soest.
Aschendorff 2011. |
|
Heinz
Ritter-Schaumburg: Die
Nibelungen
zogen nordwärts. 1981 S. 203–216. |
|
|
Vgl.
dazu Rüdiger Hermann (1989:12–13) mit wissenschaftlich unsauberer
Argumentation gegen Ritter-Schaumburgs Identifizierungsvorschlag der
Runenzüge auf der Cloisonné-Runenscheibenfibel von Grab 106
zwischen Öse und Nadelrast:
Diese „Entzifferung“ ist bereits nach
Ritter-Schaumburgs eigenen Aussagen nicht abgesichert, weil er sie in
namentlich sinngebender Bedeutung nicht klar beantworten kann
(1981:213) und er insofern weiter konzediert: So befriedigend mir
die
Entzifferung erschien, so wurde sie doch dadurch eingeschränkt,
daß außer der von Stieren abgezeichneten Runengruppe noch
weitere Runenzeichen vorhanden sind, die ich nicht
entziffern konnte. Allerdings ist fraglich, ob sie mit dem entzifferten
Namen zusammenhängen (1981:257, En. 106). Ritter-Schaumburg
dann
weiter: Hat also der Name etwas mit dem Thidrekssaga-Bericht zu
tun?
Ich muss die Frage offen lassen (1981:213)!
Während Ritter-Schaumburg gleichwohl
angibt, dass er anhand von A. Stierens Aufzeichnung die
Reihenfolge der betreffenden Runenzüge mit Hilfe guter optischer
Untersuchungsmittel auf der Fibel nachvollziehen konnte, hat Hermann
zu dem betreffenden Runenkomplex nirgends den Nachweis erbracht, dass
deren Graveur sich an die exakte
Einzelzeichen-Abfolge für die entsprechend lautgerechte Lesung
seines Ausdrucks halten musste. |
|
|
August
Stieren: Ein neuer
Friedhof fränkischer Zeit aus Soest.
Germania, Korrespondenzblatt der Römisch-Germanischen
Kommission des Deutschen
Archäologischen Instituts, XIV 1930. Heft 3. (S. 166–175.)
|
|
Oben links:
Das Medaillon, Amulett oder die „Zierscheibe“ (Durchmesser
ca. 10 cm) aus der Frauengrabkammer 105, in dem sich auch
ein Schlüssel aus
Eisen befand. Foto unten: Goldene Cloisonné-Fibel aus der
Grabkammer
106, daneben ihre vom Verfasser grob skizzierte Rückseite
(Durchmesser ca. 5 cm). Das sogenannte
„Runenkreuzmonogramm“ wurde unter
anderem A-T-A-N-O und/oder A-T-A-L-O
gelesen. Beide Beide Fotos: Verfasser. |
|
Oben rechts: Die Filigranscheibenfibel aus der
Frauengrabkammer 165 (Durchmesser ca. 3,5 cm). Zwischen dem Zeitpunkt
jener Soester Ereignisse und
ihrer
ersten
schriftlichen Aufzeichnung könnten zwar Jahrhunderte vergangen
sein, doch andererseits liefern die Scriptoren der altnordischen und
altschwedischen
Überlieferungen selbst hinreichende Beispiele für teilweise
erhebliche
Lautverschiebungen, die auch zur Runenlesung
zu
berücksichtigen sind. |
|
|
|
|
Fazit und Reaktionen
Markanter erzählungstypologischer
Unterschied zum Nibelungenlied
Im Vergleich zur mittelhochdeutschen
Nibelungendichtung lesen sich die
altnordischen und vor allem die altschwedischen Handschriften über
Dietrich von Bern etwa so nüchtern wie ein
Polizeibericht (vgl.
Quelltextauszug). Dieses Kontrastverhältnis lässt
dringend
danach fragen, ob aus einem
offensichtlich älterem und
überwiegend niederdeutschem Quellenmaterial der
in das 13. Jahrhundert datierten Þiðreks saga weiter
ausgestaltete und
insofern auch phantasievollere
Werke – darunter auch das Nibelungenlied – hergestellt werden
konnten.
Dagegen erscheint die
altphilologisch vertretene Auffassung, „der historische Kern des
Untergangs der Nibelungen bestünde in der Niederlage des
Burgunderkönigs
Gundahari im Jahr 435/6 gegen weströmische und anschließend
gegen hunnische Truppen“ als keineswegs überzeugende
monokausale Vereinnahmung
– schon wegen ihrer unverkennbaren forschungsideologischen
Verknüpfung
mit einem Reimepos als eine fabulierende und insoweit die
Schauplätze in einen südosteuropäischen Raum verlegende
Erzählung. Der Historiker Ernst
F. Jung hat die Forschungsarbeiten von Ritter-Schaumburg und Roswitha
Wisniewski bewertet und bringt sein Ergebnis zum
signifikantesten
Unterschied zwischen Þiðreks saga und Nibelungenlied so auf
den Punkt: (...)
das Gesamtpanorama raumzeithistorischer Art
ist ganz und gar verschieden. Die Ths. spielt auf Chronik-Basis in NRW,
das Nl. als Spiel
dichterischer Phantasie im Donauland.
Jung zitiert
in seiner
Veröffentlichung Der Nibelungen
Zug durchs
Bergische
Land, S. 113–114, aus einem Merkblatt
von Ritter-Schaumburg
(datiert 26.12.1985)
über
Die Überlieferung der
Thidrekssaga bzw. über Dietrich von
Bern und die Nibelungen:
Die sogenannte Thidrekssaga
oder Didrikschronik
ist ein
Bericht über Geschehnisse vergangener Zeit, die im niederdeutschen
Raum spielen. Sie ist uns nur in den alten nordischen Sprachen
erhalten, betont aber an verschiedenen Stellen, daß sie aus
deutschen Quellen stamme und auf alten deutschen Liedern beruhe, die
bald nach den berichteten Ereignissen entstanden seien. Sie berichtet
vom Leben des sagenhaften Königs Dietrich von Bern, den die
oberdeutsche Überlieferung gern mit dem Gotenkönig Theoderich
dem Großen gleichsetzt. Ein Teil der Saga berichtet auch von
Sigfrid und den Nibelungen-Niflungen, die hier in Soest zugrundegehen.
Die Thidrekssaga gab manche
Rätsel auf. Viele ihrer Angaben waren
nicht verständlich. Dahin gehörte vor allem die
vielumstrittene Stelle vom Ausritt der Niflungen. Da heißt es:
'So ritten sie immer ihres Weges, bis sie an den Rhein kamen, da wo
Duna und Rhein zusammenkommen'. Wer vom Nibelungenlied ausging,
verstand unter der 'Duna' die Donau und witterte geographischen
Unverstand. Man glaubte daher die Thidrekssaga geschaffen durch einen
ahnungslosen nordischen 'Sagamann', der im 13. Jh. mit Hilfe deutscher
Kaufleute in der alten Hansestadt Bergen die älteste
Ths-Handschrift, die sogenannte 'Membrane', zusammengestellt hätte.
Aber die Stelle war nicht sinnlos;
die Ths meinte den norddeutschen
Raum. Wirklich mündete in den Rhein bei Wiesdorf-Leverkusen der Dunfluss,
die heutige Dhünn,
und an dieser Stelle
sind uralte Fähren und Furten bezeugt. Die Nennung dieses Punktes
beweist genaue Kenntnis dieser Gegend in früher Zeit, und alle
Angaben der Ths stimmen dazu. Die Stelle ist ein Angelpunkt zum
Verständnis der Ths. Von hier aus reiten die Niflungen an Burg
Thorta (Dortmund) vorbei nach Susat (Soest) und gehen dort in wilden
Kämpfen zugrunde.
(Anm.
E.F. Jung: H. Ritters
Forschungen kreisen
letztlich um die literarisch und
historisch bedeutsame Frage: Welches ist die ursprüngliche,
geschichtsträchtige Quelle der deutschen Heldensage: das
Nibelungenlied oder die Ths-Chronik? Er kommt zu dem Ergebnis: )
Die Ths erwies sich als die Mutter
aller Sagen-Überlieferung...!
Auf eine sehr frühe Zeit
verweisen insbesondere die in der Ths
genannten Orte. Sie sind alle sehr alt. Keine der vielen von Karl dem
Großen gegründeten Städte, Pfalzen und Abteien kommt in
der Thidrekssaga vor. Das bedeutet: Die
Thidrekssaga kennt nur den vorkarolingischen Zustand dieser Gebiete.
Alt sind aber vor allem auch die
Namensformen der Ths. 'Thorta' ist
einer der ältesten Namen von Dortmund. 'Ballofa' entspricht der
ältesten Namensform von Balve. 'Brictan' (nördlich Dortmund
an der Lippe) ist die Frühform des Ortsnamens Brechten, des
einstigen Mittelpunktsortes dieser ganzen Gegend. 'Tyr, Ram, Puli' sind
ganz alte Namensformen, und der Name der Niflungenburg 'Vernica' geht
auf das römerzeitliche 'Verniacum' zurück.
An zusammenengesetzten Namensformen
kennt die Ths nur die
ältesten:
viele mit -borg, je zwei mit -stein (sten), -fils, -gard, je einen mit
-saela, -lar, -port (an der Mosel), keinen mit -dorp (außer einer
späten Erwähnung in Dänemark), einen mit -heim
(südlich der Mosel), aber keine der später so verbreiteten
Zusammensetzungen mit -ingen, -hausen, -hoven, -weiler, -rode, -bach,
-tal, -berg, -feld, -bruch, -scheid usw. Das bedeutet: Die
Thidrekssaga hat einen ganz alten
Namenbestand, wie sie ihn in späteren Jahrhunderten nicht mehr
aufnehmen konnte.
Aus allem diesem ist zu
schließen, daß die Thidrekssaga-Überlieferung aus der
Zeit vor
Karl dem Großen stammen muß.
(Anm.
E.F. Jung: An ihrer
Angabe, daß sie sich von
alten
deutschen Liedern
herschreibt, die bald nach den erzählten Ereignissen entstanden,
ist nicht zu zweifeln. Letztlich führen sie zurück bis in die
Zeit der fränkischen Landnahme an der Wende vom 5. zum 6.Jh.!)
Nun hat Karl der Große selbst
Lieder in deutscher Sprache
sammeln und aufschreiben lassen, die zu seiner Zeit schon als
'antiquissima carmina' angesehen wurden, also als 'uralt'. Es waren
Lieder, in denen der frühen Könige Taten und Kriege besungen
worden waren. Eben dies aber sind die Inhalte der Ths: Die Taten und
Kriege der frühen Könige. Und es ist undenkbar, daß so
erregende und dramatische Berichte wie der Niflungen-Untergang sich
unter diesen Überlieferungen nicht sollten befunden haben.
Es ist also
unrichtig, von der
'Entstehung' der Thidrekssaga um 1250 zu sprechen und einen 'nordischen
Sagamann' als Schöpfer der Ths anzunehmen. Wer das tut,
verteidigt einen überwundenen Standpunkt und zeigt, daß er
die vorstehenden, seit 1979 vorliegenden Untersuchungen nicht zur
Kenntnis genommen hat. Die Ths ist
eine deutsche Überlieferung vorkarolingischer Zeit. Dies
ist die Kernthese meiner Bücher.
Daß es sich bei dem in dieser
niederdeutschen Umwelt lebenden und
handeln – den König 'Dietrich von Bern' nicht um Theoderich den
Großen handeln kann, bei den Hünen (hynir) nicht um die
Hunnen, bei dem aus Friesland stammenden König
Attala-Attila-Atilius nicht um den Hunnenkönig Etzel, das ergibt
sich nebenher. Daß mit den 'Niflungen' nicht die Burgunden
gemeint sein können, mit ihrer Burg 'Vernica' nicht Worms genannt
sein soll, das habe ich im einzelnen aufgezeigt.
Nach all dem ist es
selbstverständlich, daß das
Nibelungenlied nicht die Quelle der Thidrekssaga gewesen sein kann.
Viel wahrscheinlicher ist, daß umgekehrt die
Thidrekssaga- Überlieferung die Hauptquelle des Nibelungenliedes
und anderer mittelalterlicher Epen war.
Zu dem von Dichtung und Forschung reichlich
gehuldigten Burgunden–Hunnen- Mythos
lassen sich auch diese Auffälligkeiten beisteuern:
1. |
Nach dem oströmischen
Geschichtsschreiber Olympiodoros von Theben (4./5. Jh.)
haben im Jahr 411 der Alanen-Anführer Goar und das
Burgunder- Oberhaupt Gundahar in Mundiacum in der Provinz Germania II den Gallorömer
Jovinus zu ihrem Gegenkaiser erhoben. Jedoch hat man diese Angabe
umgedeutet in Moguntiacum
für Mogontiacum = Mainz.
Dies erfolgte jedoch ohne Rücksicht auf die mindestens ebenso
naheliegende oder vielmehr höhere Wahrscheinlichkeit, dass
fränkisch-burgundische Völkerschaften andererseits (auch) die
Germania
II
besiedelt haben konnten. Naheliegenderweise darf Mundiacum
als Namenspatin für dortige Orte wie etwa „Mündt“
und „Müntz“ (im Raum
Mönchengladbach – Jülich) längst nicht
ausgeschlossen werden. |
2. |
Der weit vor den
verfügbaren Handschriften des Nibelungenliedes verfasste Waltharius
(10.
Jh.) bezeichnet einen Gibbich
(„Gibicho“) als
Königsvater des Gunther
(„Guntharius“) aus dem Geschlecht der Franci
Nebulones.
Der Dichter des Nibelungenliedes macht Gibbich jedoch nicht zu einem
Burgunder, denn er bezeichnet Dankart
als Vater der Königsgeschwister. Auch diese genealogische
Konstellation spricht für unterschiedliche raumzeitliche
Erzählungsverhältnisse zwischen der Thidrekssaga, dem Waltharius und dem Nibelungenlied.
|
Dieser Kontext wurde forschungsgeschichtlich relativ früh
angeschnitten. So auch von Julius R. Dieterich, der in seiner
Veröffentlichung Siegehard
von Lorsch • Der Dichter des Nibelungenlieds
(Frankfurt /
Darmstadt 1923) das Mundiacum mit dem nördlich von
Jülich gelegenen Müntz als
Bereiche einer wahrscheinlicheren, zumindest nicht
auszuschließenden
„burgundischen“ Siedlungsregion des 5. Jahrhunderts in Zusammenhang
bringt. Ein Jahr nach
Dieterichs Beitrag folgte die
textkritisch häufiger zitierte Publikation von Reiner Müller:
Die Burgunden am Niederrhein 410–443
(Jülich 1924).
Einige
geschichtliche und weitere neuphilologische Rezeptionen
Die ostfränkische Machterweiterung
im frühen 6. Jahrhundert bis in den Kölner Raum, so der vom
Merowingerkönig Chlodwig I. vorgeplante und von
Mittelsmännern
(Vertrauensleute?) ausgeführte Hinterhaltsmord am
rheinischen König Sigibert während eines Waldausritts auch zu
seinem Schatzhort überliefert der fränkische
Geschichtsschreiber Gregor von Tours um das Jahr 509. Dieser Vorgang
darf als historische Grundlage für Sigfrids Erschlagung also
keineswegs ausgeschlossen werden. Nach Ritter-Schaumburgs
raumzeitlichen
Identifikationen fallen die Niflungenberichte hauptsächlich in den
Herrschaftsbereich von Chlodwigs
ostfränkischem Thronfolger und Heeresführer Theuderich I.
Nachdem er – übrigens nach einem letztlich gescheiterten
südgallischen
Feldzug – über einen längeren Zeitraum für unsere
bislang akkreditierten Geschichtsschreiber im
erzählerischen Abseits gelegen hatte, avancierte dieser
fränkische Dietrich zu einem Großherrscher über mittel-
und z.T. süddeutsche Bereiche, den Rhein-Moselraum mit dessen
Metropolen Köln–Trier wie auch zeitweise
über weiter westlichere Gebiete.
Nach archäologischen Anhaltspunkten und gesicherten
geschichtswissenschaftlichen Erkenntnissen
erfolgten noch in seiner späten Regierungszeit (gegen Ende des
ersten Drittels des 6. Jahrhunderts, danach von
seinen Nachfolgern fortgesetzt) fränkische Migrations- und
Invasionszüge in
rechtsrheinisch-mitteldeutsche Gebiete, die
über heutige niederdeutsche und hessische Bereiche bis
Thüringen und das westliche
Harz-Vorland reichten.
Nach der Zeittafel der Þiðreks saga
werden die nach Chlodwigs Einverleibung des Kölner
Herrschaftsgebiets und noch vor dem Thüringen-Feldzug des
ersten merowingischen Dietrich in einen westfälischen
Eroberungsraum ziehenden Niflungen folglich an
keiner Stelle in den altskandinavischen Überlieferungen als
„Burgunden“ bezeichnet. Die Atlakviða als die älteste
entstehungszeitliche
Überlieferung vom Fall des niflungischen Duos Gunnar und Hǫgni
nennt ihren Gunnar einen vinir
Borgunda, einen Freund
der Burgunder. Dies trifft wiederum auf Chlodwigs Herrscherzeit zu, in
der Franken und Burgunder im Westgotenkrieg von 507/508 gemeinsam gegen
den
bis Südgallien gezogenen Ostgotenkönig Theoderich den
Großen kämpften.
Nach den Darstellungen des Nibelungenlieds und der
Þiðreks saga darf aber auch von jener
höchstwahrscheinlichen
Verschriftlichungskonstellation ausgegangen werden, dass ein
früher
zu datierender, jedoch verschollener Vorlagenstoff sowohl den
niederdeutschen-altnordischen als auch oberdeutschen
Überlieferungszweigen als Quellenmaterial diente
und die Schreiber der Þiðreks saga und altschwedischen
Handschriften ihre Niflungenberichte mit
ergänzenden
Rezeptionsdetails aus dem Nibelungenlied oder vielmehr deren
postulierter Vorstufe geschrieben haben.
Gegenüber dem Dichter des Nibelungenliedes
und einer sich zur Anführung erübrigenden Polemik mancher
Fachwissenschaftler, die den chronistischen Typus samt
Berichtsubstanz auch der altnordischen Textzeugnisse nicht auf
essenzielle Widersprüche zu historisch anerkannten oder
nachvollziehbaren migrationszeitlichen Vorgängen
in einem hauptsächlich ostfränkisch-niedergermanischen Raum
ausfiltern und abwägen wollen,
lassen die von Ritter-Schaumburg rezensierten Überlieferungen die
Nibelungen offenbar weniger phantasievoll nordwärts ziehen.
Zugleich hat er damit aber auch die Glaubwürdigkeit
altgermanistisch etablierter Deutungsansätze auf den
Prüfstand gestellt.
|
Im Gegensatz zu einigen Privatforschungsbeiträgen, die sich um
sachlich differenzierte Auseinandersetzungen mit diesem nur scheinbar
„pseudochronistischen Sagenkonglomerat“ bemühen, haben Forschung
und Lehre auch nach Ritter-Schaumburg die Þiðreks
saga als Berichtsammlung um einen sagenhaft heroisierten
Ostgotenkönig Theoderich den Großen deklariert.
In der unbedingten, offenbar noch aktuell verbissenen wie aber
gleichermaßen irrigen Vorstellung der Literaturwissenschaft des
19.–21. Jahrhunderts, in den Handschriften der Þiðreks saga
und
„Dietrich-Chronik“ Theoderich den Großen
wiedererkennen zu müssen, kann und muss es sich bei diesen
folglicherweise nur drastisch verzerrt begreifbaren
Überlieferungen um nicht mehr als „Sage und
Dichtung“
handeln. Doch von eben diesem ehernen Postulat, soweit noch
gestützt vom schöngeistig verherrlichenden Bestand über
mittelalterliche
Dietrich-Epik, scheinen sich Germanistik, Nordistik und Skandinavistik
auch und vor allem zur Wahrung eigener Forschungsbibliografien nicht
mehr trennen zu können.
Mit einer grundsätzlichen
Forschungsperspektive und Parallele auf Ritter-Schaumburgs Analyse der
Þiðreks saga zitiert der
Germanist Hilkert Weddige in
seinen z.T. vergleichenden Untersuchungen am Beispiel des
sagengeschichtlichen Bindeglieds Iring
in Historiografie und heroischer Tradition (Heldensage
und Stammessage,
Tübingen 1989, S. 69) unter anderem seinen
Forscherkollegen Reinhard
Wenskus, der von »unmittelbaren Einwirkungen der historischen
Wirklichkeit auf den
Gang der Stoffgeschichte« von Heldensagen ausgeht. Diese
seien
lebendige Überlieferungen bestimmter Personengruppen gewesen,
deren »Geschichte sich auch in den Weiterbildungen
und Varianten
niederschlug«. Dieser rezeptive Stoffkreis schließt die
oberdeutsche Nibelungen- und Dietrichepik ein.
Der Philologe Hanswilhelm Haefs (Thidrekssaga
und Nibelungenlied, 2004) hat Ritter-Schaumburgs
Erkenntnisse über die „Historizität“ der Þiðreks
saga kritisch hinterfragt. Auch demnach erscheint die im
deutschsprachigen
WP gegen ihn als Schlüsselargument hochstilisierte
Behauptung, dass er „gesicherte
literarhistorische Erkenntnisse über die Sagen- und
Geschichtsüberlieferung der germanischsprachigen Völker
ignoriert“ (abgerufen
03.12.2012) als ein unkritisches
Pauschalurteil, das eine differenzierte Auseinandersetzung mit seinen
Forschungsbeiträgen vermissen
lässt. Wie auch jener ihm (seinerzeit) als „Faktum“
untergeschobener „erheblicher
Schwachpunkt“, wonach – längst
jedoch im Widerspruch zu beispielsweise karolingischen
Überlieferungen
im altnordischen ‚SAGA-Herkunftsmilieu’
– keine der Personen der Sage in historischen Quellen
ausgemacht werden kann und gleichzeitig keine historisch bekannte
Person in den Sagen auftaucht. (WP über „Heinz
Ritter-Schaumburg“, abgerufen
03.12.2021.)
Der Historiker und Mediävist Hans Georg
Kirchhoff gelangt mittels Sprachforschung und Lokalisationen aus
geschichtlichen Quellen
und oralen Überlieferungen zu der Schlussfolgerung, dass für
die
Nibelungen-Niflungen gegenüber dem dichterisch-burgundischen
Worms ein niederrheinischer Heimatbereich wahrscheinlicher erscheint.
Für die bis in faktische
Festschreibungen erhobenen Prämissen und Dogmen, dass
migrationszeitliche Niflungen – bzw. ein ostfränkisches
Invasorenvolk – nach Ritter-Schaumburgs Rezension
der Þiðreks saga nicht im westfälischen Soest erschienen
sein
konnten, haben seine bzw. ihre Kritiker jedoch keinen
anerkennungsfähigen Nachweis
vorgelegt. Wir vermissen außerdem stichhaltige
Belege für Behauptungen, welche die eine oder
andere mit Dietrich von Bern
verkehrende Heldengestalt in
die absolute historische
Unmöglichkeit verweisen und – z. B. zur
programmatischen Protektion zweifelhafter germanistischer
Auffassungen – eine historische
Grundlage für einen ethnologischen bzw. toponymisch abgeleiteten
Nibelungenbegriff kategorisch ausschließen. Wir vermissen
überdies von
fachwissenschaftlich wie auch medienpopulär hochgelobten
Nibelungenforschern eine seriöse Begründung für
Wertungsmaßstäbe, die oberdeutsche Reimepik, so z. B. das
Nibelungenlied, zum hierarchisch unantastbaren Gradmesser für
Textzeugnisse von nachweislich
mediävalchronistischer Überlieferungstypologie erheben. Wir
vermissen anhand von bestehender migrationszeitlicher
Geschichtsschreibung über die von Ritter-Schaumburg aufgezeigten
Raumzeitbereiche
jedoch auch eine überzeugende
Gegendarstellung, warum die altschwedischen Handschriften
nicht mehr als einer „prosaischen Pseudochronik“
genügen sollen. Und wir vermissen nicht nur hierzu
nachvollziehbare
Entkräftungen der grundsätzlichen Kernsubstanz aus den
Beiträgen von
Ritter-Schaumburg und jenen Autor(inn)en, die ihn unvoreingenommen
rezensieren.
Von Forschern, die zu berücksichtigen wissen, dass chronistische
Überlieferungen von und in der altnordischen
Bibliografie schlicht und nachweislich als SAGA
betitelt
wurden.
Von Analysten, deren Indizienkataloge zur
wahrscheinlichsten historischen Ursprungsregion der mit einem
linksrheinischen Voreifelraum verknüpften Niflungen–Nibelungen
längst sowie ohne verfehlende Fingerzeige auf oberdeutsche
Reimdichtung, Dietrichepik und eddische Heldenlieder einen Anspruch auf
Widerlegung erhoben haben.
Einer überwiegend positiv-sachlichen Aufnahme
der von Ritter-Schaumburg ausgebreiteten Deutungen zu den „historischen
Nibelungen“ taten jene besonders unmittelbar und mittelbar gegen
ihn
gerichtete Einzelunternehmen, darunter einst auch eine TV-Diskussion
des Hessischen Rundfunks – vom Historiker Ernst F. Jung als
„getrickstes
Tribunal gegen Ritter-Schaumburg“ entlarvt –
allerdings kaum Abbruch
(vgl. Pressestimmen
aus der Rezensur).
Heinz Ritter-Schaumburg erhielt für seine
Forschungsbeiträge
das Bundesverdienstkreuz und den Verdienstorden des Landes
Nordrhein-Westfalen.
|
|
|