01.11.2025
Erstveröffentlichung: April 2008

Rolf Badenhausen

Thidrekssaga und Eddalieder: 
Zur Schuldfrage von „Attila“ und Grimhild, Atli und Gudrun

In den Berichten der Thidrekssaga und ihrer altschwedischen Überlieferung erweist sich der Motivkreis Grimhilds Rache als intertextuell näher untersuchenswerter Tragpfeiler. So liefern nicht nur das Reimepos Nibelungenlied vergleichbare Darstellungen vom Schicksal jener Kriemhild und ihrer Brüder, sondern auch, so über Gjukis Tochter und seine Söhne, mindestens zwei eddische Heldenlieder und (mit diesen) die Vǫlsunga saga.
Mit dem Älteren Atlilied (Atlakviða) der Heldenedda verfügen wir über die älteste Tradition vom Fall der Brüder Gudruns. Es bietet somit eine Grundlage für die thematische Erschließung von handlungs- bzw. erzählmotivischen Abweichungen von den jünger datierten Handschriften der Thidrekssaga. Die Voraussetzung dazu bilden auszufilternde Charakteristika aus korrespondierenden Identifikations- und Motivbereichen der Akteure.
Nachfolgend werden daher zunächst für beide Eddalieder kontextuell zu beachtende Vermittlungsinhalte darzustellen sein.


Atlakviða

Als sich Atlis Bote Gudruns Brüdern vorstellt ist bereits von gefürchtetem Hunnenzorn – hier scheinbar auf Sigurðs Schicksal anspielend – die Rede. Jedoch zählt der Überbringer von Atlis Nachricht all die Kostbarkeiten auf, die sein König den Söhnen Gjukis zukommen lassen möchte. Hier aber wiegelt Gunnar mit einer Zustimmung erheischenden Rede an seinen Bruder Hǫgni ab: Die zur Überlassung angebotenen hunnischen Reichtümer können nicht wirklich überzeugen, genügend gäbe es (davon) schließlich im eigenen Land! Hier also die kaum zu übersehende Anspielung der sechsten Strophe auf den Herkunftsbereich von Sigurðs Hort, über dessen Schätze zwar längst Gunnar und Hǫgni verfügen, aber Atli als Gemahl von Sigurðs Witwe Gudrun – die ihm die Niflungen als Wiedergutmachung für den Verlust seiner Schwester Brynhild überlassen hatten – für sich beansprucht. (Nach der Dráp Niflunga, siehe unten, wurde Gunnars Werbung um Atlis Schwester Oddrun abgewiesen.) Allerdings kann Hǫgni seinen redseligen Bruder mit einer geschickt verdeckten Warnung ihrer Schwester Gudrun zumindest vorübergehend zum Schweigen bringen – dem mit Wolfshaar umwundenen Ring aus der Hand des Überbringers. Doch Gunnar will Atlis Wölfen trotzen: Wenn er in Feigheit ablehnte hätten sie sein „Niflungen-Erbe“ zu Recht verdient! Als er schließlich die Fahrt unternommen hat und schließlich die Halle Atlis betritt, muss er sogleich von seiner Schwester erfahren, einer „Hinterlist“ ihres Gemahls aufgesessen zu sein. Der gegen Atlis Stärke völlig unzureichend Gewappnete wird von seiner Schwester jedoch nicht nur deswegen getadelt, sondern auch zur raschen Umkehr gedrängt. Der überwältigte Gunnar kann sein Leben mit der Preisgabe des Goldschatzes retten. Er verlangt zunächst, dass man ihm Hǫgnis Herz vorlege. Nachdem ihm dieser Wunsch erfüllt wurde, hat er die Gewissheit, dass außer ihm niemand den rheinischen Ort vom Goldschatz der Niflungen kennt. Schließlich lässt Atli Gunnar ins Schlangengehege werfen.

Obwohl nicht nur Heusler und Genzmer, hier apodiktisch den Burgundenuntergang vor Augen, bei diesem Eddalied möglichst unspezifiziert von Gudruns Rache sprechen (vgl. auch Heuslers Vorwort zu den Atlamál), lässt sich aus beiden Liedern nicht Gudruns Verrat und Rache an ihren Brüdern folgern. Nach dem Fall der Gjukungen verübt sie vielmehr erschöpfende Rache an Atli: Sie erschlägt die gemeinsamen Söhne Erp und Eitil und führt sie kannibalischer Tradition zu. Später, nach dem Verteilen der Kostbarkeiten aus Atlis Schatzkammern an sein Gefolge und vor dem Niederbrennen seiner Residenz (vgl. mit Saalbrandmotiv im Nibelungenlied!), tötet sie Atli in seinem Nachtlager mit dem Schwert.

Der Texter der Atlakviða tradiert einen scheinbar unbedacht agierenden Gunnar: Trotz der Warnung seiner Schwester steht sein Entschluss fest, seinen Schwager ohne Brünne und ausreichendes Kriegsvolk aufzusuchen! Wenn Heusler die Auffassung vertritt, dass dieses ins späte 9. Jh. datierbare Lied wie nur wenige Gedichte durch so viele Hände gegangen ist, dann sollte man sich um so mehr über Gudruns überlieferte Positionierung als Bruderrächerin wundern.


Die Atlamál

Die entstehungszeitlich schwieriger einzuordnenden grönländischen Darstellungen der Schicksale von Gudrun, ihren Brüdern und Atli werden überwiegend dem 12. Jh. zugeschrieben und lassen gegenüber dem älteren Atlilied bemerkenswerte Stoffanreicherungen erkennen. Gleichwohl kennen wir den Wirklichkeitssinn der isländischen Saga, meint jedoch Heusler in seinem Kommentar zu diesem Heldenlied, das zu keineswegs wenigen erzählerischen Details der älteren Überlieferung neue wie mitunter auch schwierig vereinbare Varianten erschlossen haben will (vgl. Gunnars Schlangentod). So belehrt die isländische Tradition die Atlakviða auch mit einem Boten Atlis, der nicht nur namentlich, sondern auch durch seinen erweiterten Rollenpart von seinem Vorgänger deutlich zu unterscheiden ist. Die unverkennbare Grundtendenz, vor allem die Zwiegespräche zwischen Atli und Gudrun im Interesse an eskalierender Actio und Reactio zu psychologisieren, hebt das jüngere Drama von seinem Vorläufer deutlich ab.

Wie bereits der dritten Strophe der jüngeren Tradition zu entnehmen ist, hat Gudrun längst von Atlis Hinterlist gehört und will ihren Brüdern daher eine Runen geritzte Warnung zukommen lassen. Zwar wird diese von Atlis Boten Wingi erkannt und geändert, aber am Hof ihrer Brüder noch rechtzeitig entschlüsselt. Doch hier ist es nicht nur Hǫgnis Frau Kostbera, die den geplanten Verrat wittert. Auch Gunnars Gemahlin Glaumvǫr konfrontiert schließlich den hinterlistigen Boten mit ihrer Vorsehung. Zwar wiegelt er beschwörend ab, doch später, auf der Fahrt zu Atli, bekennt er sich warnend und dafür sterbend zum ausgemachten Verrat. Nicht ohne Kritik zum Vorgehen und Schicksal von Gudruns Brüdern und Neffen waren zu wenige Krieger gegen Atli gezogen. Hǫgni hatte es längst geahnt, Str. 19, den für beide Seiten stand längst fest, die andere zu vernichten. Gudrun öffnet ihren Brüdern das Tor, ihre Enttäuschung und Wut über Atlis kriegerisches Vorgehen kaum verbergend, Str. 44. Ihre gleichwohl ambivalent erscheinende Begrüßung von Gunnar und Hǫgni wirkt ebenso offenherzig wie pathetisch: „Daheim wollt ich euch halten ... kommen musstet ihr.(vgl. Genzmer). Gudruns Versuch, noch Versöhnung herbeizuführen, scheitert. So kämpft sie hart an der Seite ihrer Brüder, schickt mit ihrem Schwert einen Schwager zu Boden und tötet noch einen anderen Mitstreiter aus Atlis Gefolge. Auch hier wird Hǫgnis Herz herausgeschnitten, während Gunnar bis zu seinem Tod eine Harfe mit den Zehen spielen muss.

Liest sich so, wie auch in bescheidenerer Vermittlung der Atlakviða, ihre Rache für Sigurð?

Atli rechtfertigt sein martialisches Vorgehen – seinen gefürchteten Hunnenzorn nach dem Älteren Atlilied – mit all dem Dahinmorden und Übel, das die Gjukungen seiner Sippe bereitet haben sollen, Strn. 50 und 51, dabei vor allem den Tod seiner Schwester Brynhild vor Augen (Str. 52). Jedoch hält Gudrun mit Atlis Ermordung ihrer Mutter und dem Verhungernlassen der Base dagegen (Str. 53). Sie beklagt ihr einst inniges brüderliches Verhältnis besonders zu Hǫgni, Strn. 67 und 68, und sie rächt die Bluttaten an ihren Brüdern mit einem Atli zugeführten Leichenschmaus aus den Überresten ihrer Söhne. (Auch ein rächender Weland lässt seinen König aus den Hirnschalen seiner erschlagenen Söhne trinken.)

Wir erfahren außerdem, dass Atlis Erschlagung im Schlaf auf  gemeinsam ausgeführter Rache von Gudrun und dem Hǫgni-Sohn Hniflung beruhen soll (Str. 83). Noch mit seinen letzten Worten wirft Atli seiner Mörderin Drangsalieren seiner Mutter vor und beklagt sich, dass sie sein Streben nach dem Niflungenschatz vereitelt hatte, Str. 90. Und am Ende des Vortrags vom Autor dieser Überlieferung hören wir, dass Gudrun in einen Freitod gehen wollte, der ihr jedoch versagt blieb.


Vergleiche

Es zeigt sich, dass Gudruns Rache für Sigurð weder der Atlakviða noch den Atlamál zugeschrieben werden kann.(1) Übrigens kann dieses Motiv auch nicht mit ihrer Witwentrauer und Haltung gegenüber einem werbenden Atli wahrscheinlich gemacht werden, vgl. Guðrúnarkviða II (önnur) und Vǫlsunga saga.(2) Auf das offenbar später zugefügte Rheingoldmotiv der Atlakviða hat bereits Gustav Neckel in seinen Beiträgen zur Eddaforschung (Ruhfus, Dortmund 1908) aufmerksam gemacht: Als man den zur Preisgabe des Hortes erpressten Gunnar das Herz Hǫgnis präsentierte – Gunnars Forderung, die der überraschte Gastgeber zwar zunächst, aber schlussendlich nicht mit einer Täuschung zu erfüllen gedachte (Neckel dies mit den hierzu wohl längst, aber nicht durchgreifend umgestaltenden Atlamál zu erklären hoffte) – verwünscht der im Schlangengehege Sterbende das von Atli begehrte Niflunga-Sigurð-Erbe in den Fluten des Rheins.

Nachdem die Atlamál weder ihr Interesse an die Rheingoldstrophe signalisieren noch Atlis Hortgier so adäquat intonieren wie die ältere Tradition, finalisiert schließlich der Dichter des Nibelungenlieds das Versenkungsmotiv der Atlakviða (Str. 29) mit einer Inszenierung, die vor allem seinem oberdeutschen Hauptdarsteller Hagen gewidmet ist. Ein Zug, der allerdings kaum in das Metier des Quellenlieferanten der historiografisch-chronistischen Handschriften der Thidrekssaga und ihrer altschwedischen Überlieferung fallen dürfte. 

Der von Teilen der Quellenforschung im niederdeutschen Kloster Wedinghausen erkannte Vorlagengeber dieser beiden Überlieferungen stand vielmehr vor der Aufgabe, seinen Lesern ein ebenso prägnantes wie anhand seiner Quellen einleuchtendes Motiv für eine (vorläufig) bei Susat = Soest abgestoppte (erste) Territorialausdehnung ostfränkischer, nach den handschriftlichen Überlieferungen zumindest linksrheinischer Völkerschaft zu liefern.(3) Eine Andeutung von befürchtetem Hunnenzorn konnte ihn dazu kaum befriedigen. Korrespondierende Anknüpfungspunkte zu all den kleinen und großen Übeln, die sich Atli und Gudrun nach den Atlamál vorwerfen, haben ihn auch nicht sonderlich interessiert. Er dürfte außerdem mit dem zeitgeistlichen Problem konfrontiert worden sein, dass für ein erneuerndes Rezeptionskonzept die eddische Gudrun – wie längst schon Brynhild – in einer überweiblich martialischen Rolle erscheint. Zum höfisch-weiblichen Rollenverständnis weckte vielmehr das literarische Bild ihrer Mutter sein Interesse an eine ebenso hinterlistig vorgehende wie männliche Machtfülle ausschöpfende Protagonistin. So wird er zu Grimhilds Rache, dem prägnanten Titel seiner Erzählung vom Untergang der Niflungen, eine Darstellung gekannt oder geschaffen haben, welche die eddische Grimhild „mit ihrer Tochter“ zu einer Sigurð/Sigfrid rächenden Gestalt vereinigt. Man vergleiche dazu Saxo Grammaticus, der bereits im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts von einer längst existierenden Stoffgestaltung wusste: speciosissimi carminis contextu notissimam Grimildae erga fratres perfidiam de industria memorare adorsus (Gesta Danorum XIII,6,7). Die Frage, ob eher einem hoch- als niederdeutschen Schriftgelehrten die Erstumsetzung einer derartigen Gestaltenvereinigung angetragen werden müsste, mag bereits im Zusammenhang mit politisch-missionarischen Expansionsambitionen in der Ottonenzeit eine Rolle spielen. Unabhängig davon sei hier dahingestellt oder nahegelegt, dass hochmittelalterliche Historiografie und Reimdichtung zu ihren Verschriflichungen – so anhand der Heldenedda – den Motivkomplex Mutterrolle als töchterliches Erbgut sehen und darstellen durfte. 

Nach der Guðrúnarkviða II (Str. 18) war Gudruns Mutter Grimhild von ihren Söhnen „heftig begehrend zu hören, wer für den Schwager Wiedergutmachung leisten, oder wer's entgelten wollte“. Ab Str. 25 dieses Liedes über Gudruns Vita steht jedoch fest, dass der Vergessenheitstrank zur Verdrängung der Meucheltat an Sigurð nur vorübergehende Wirkung zeigte (vgl. schließlich Str. 30). Für ihre Tochter hatte die trügerisch auftretende Grimhild nicht nur das Reich eines übersetzerisch einzudeutschenden „Hlödwers“ – naheliegend das Frankenreich von Chlodwig I. – geboten, sondern auch den schier unermesslichen Reichtum des niedergermanischen Hünen-Hunnenlandes an der Seite von Atli. Doch Gudrun an solchem Angebot schlicht desinteressiert. — Und so macht vielmehr eine geschickt vorplanende Grimhild, die längst nicht mehr an der Seite ihrer Söhne stand, das zu Atlis Größe disponierbare Sühnemittel aus und wird damit dem innovativen stauferzeitlichen Erzählungsinteresse gerecht.

Zu Sigurðs bzw. Sigfrids Erschlagung finden wir ebenfalls eine wiederum sippenmotivisch ausgerichtete (und auch insoweit begrenzte) Rollenübertragung vom eddischen Guttorm auf Hagen/Hǫgni

Roswitha Wisniewski hat darauf hingewiesen, dass der niederdeutsche Schriftgelehrte und Vorredaktor der Thidrekssaga für seine Darstellung vom Untergang der Niflungen martialische Züge der eddischen Gudrun an ihren geliebten Bruder Hǫgni offenbar zu überschreiben wusste, um (nunmehr folgernd) innovativen, somit auch verdrehenden Vermittlungskontexten zu entsprechen – übrigens beachte man daneben Hagens Verstärkung vor allem durch Gernot auch im Nibelungenlied. Und wie sich zeigt, umfasst eine solche und wahrscheinlich nicht aus nur einer Feder stammende literarische Transportation nicht nur die Tötung zumindest eines „Attila“-Grimhild-Sohns durch einen theatralisch aufgereizten Hǫgni/Hagen, sondern auch die Wandlung des eddischen Rächerpaares Gudrun und Hniflung nur auf dessen Sohn.(4) Nichtsdestoweniger bemühen sich allerdings sowohl die Thidrekssaga samt altschwedischer Überlieferung als auch oberdeutsche Vermittlungen um eine Art rekonvertierende Reminiszenz an eine schlussendlich auf den Tod verfeindete Beziehung zwischen „Attila“ und Grimhild: Nach den niedeutschen und/oder nordischen Überlieferungen  soll es der Hunnenkönig sein, der seine grausam vorgegangene Gemahlin durch die Hand Dietrichs von Bern (im Reimepos Hildebrand ohne Etzels Zustimmung) exekutiert sehen will.

Zu mindestens zwei Erzählungskriterien legen die Atlamál eine niederdeutsche bzw. hier offenbar „Soester Quelle“ nahe. Jedoch erscheint auch im jüngeren Atlilied Gudrun als Bruderrächerin und nicht, wie in der Thidrekssaga, ihrer altschwedischen Überlieferung und süddeutscher Tradition verewigt, als Gattenrächerin. Aus den somit deutlich unterscheidbaren Stoffverarbeitungen lässt sich ohne Weiteres jedoch nicht folgern, dass die Auffassung der eddischen Texter in manchem Zusammenhang oder Detail grundsätzlich weiter von ursprünglichem Realkontexten entfernt sein muss.

Für Bewertung des „Schuldfragenkontextes“ liefert Sv 304 der altschwedischen Überlieferung den essenziellen Kontext nach der ältesten altnordischen Handschrift:
 
Als Grimhild Attala-König sieben Jahre zum Gatten gehabt, da sagte sie eines Nachts zu Attala: Herr, daß ist großer Harm, daß ich in diesen sieben Jahren meine Brüder nicht gesehen habe. Wann willst du sie hierher einladen? Ich will dir sagen, was du nicht vorher gehört hast: Mein Gatte Sigfrid war der reichste Herr an Gold und Gut, reicher als irgendein König es jetzt sein kann. Das haben meine Brüder alles zusammen und geben es mir nicht ab. Bekäme ich das, dann könntes du davon haben, soviel du willst!“
     Als Attala-König das hörte, wußte er, daß es wahr war – und er war aller Menschen begehrlichster. Ihm schien es schlecht, daß er den Niflungen-Schatz nicht bekommen sollte – und er sagte: „Ich weiß, daß Jungherr Sigfrid viel Gold besaß, zuerst,was er nahm von dem großen Drachen, den er erschlug, dann, was er durch Krieg gewann, und dazu, was sein Vater Sigmund-König besaß. – Und nun ist es recht, daß du einlädst deine Brüder, wenn du willst. Was ich habe an Gut, soll ihnen ungespart sein!“
(Übs. Ritter-Schaumburg)

Ihm schien es schlecht/übel, daß er nicht den Hort erhalten sollte ... – ein Gedenken Atlis nach der Atlakviða! Die sich hierzu als eine Art Nachweis anbietende Rede „Attilas“ in Sv kann in gemeinsamer Aussage jedoch nicht zwingend als Täuschung Grimhilds und ihrer Brüder ausgelegt werden. Seine Einlassung darf vielmehr so aufgefasst werden, dass er – vortäuschenderweise auf friedlichem Weg? – ein geeintes Großreich mit entsprechend vermehrten Reichtümern anstrebte. Im Gegensatz zu Sv will uns immerhin Mb 359 der Thidrekssaga verdeutlichen, dass „Attila“ den Hort Sigfrids stärker verlangt. Er wirkt ungeduldig und fordert: „Nun will ich, Frau, daß du deine Brüder her ladest ...
(Übs. F. H.von der Hagen. Fine Erichsen übersetzt „Attilas“ Begehren moderater: „Nun möchte ich ...“)

Von ungesparter Verfügbarkeit über all sein Gut ist längst nicht mehr die Rede, denn hier endet seine erkennbar egoistischere und zur Vorsicht mahnende Haltung mit deutlich knauserigen Worten „... und nicht will ich daran sparen, dieses Gastmahl aufs Herrlichste zuzurüsten“.

Nach Ankunft ihrer Brüder in Susat = Soest verläuft Grimhilds Hortfrage und Aufreizungsversuch an „Attila“ jedoch erfolglos, so auch Sv 319 mit unmissverständlichen Worten des Hunnenkönigs. Seiner Auffassung entsprechend muss auch Mb 376 der Konzeption folgen, dass Grimhild nur die Wahl bleiben wird, ihren Sohn als Grund für den Kampfausbruch zu opfern. So geht sie zwar auch nach dem bereits anderenorts längst aufflammenden Kampf im Nibelungenlied vor, jedoch unterbleibt darin zur Wahrung eines zweifelsfrei unschuldigen Etzel nicht nur die an ihn gerichtete Hortfrage und Aufstachelung gegen ihre Brüder, sondern zwangsläufig auch das nach Mb 359 bzw. Sv 304 einst geführte Gespräch für das Erwecken von Hortgier ihres Gemahls. Im Liedepos reagiert Dietrich von Bern übrigens zornig auf die Vorhaltung der teuflischen Braut, die Ankömmlinge vor Kriemhilds Hinterlist gewarnt zu haben. Allerdings fehlt diese Szene in den Handschriften der Thidrekssaga und altschwedischen Überlieferung.(5)

Man wird aus den Rollenbildern des Gastgebers noch abzuwägen haben, ob sich der Soester Chronist als postulierter Vorlagengeber der Thidrekssaga überhaupt für eine Rezeption des Etzel im Sinne eines möglichst unschuldigen heimatlichen Großkönigs interessieren musste, wenn ihm bereits die Atlamál einen nicht minder sanften Landesvater bestätigen. Gudruns emphatische Worte in Str. 95 (nach Simrock 99) geben noch zu denken:

Nie kamst du vom Kampf,    dass uns Kunde ward,
du habest Streit gesucht    und Sieg dir erfochten.
Stets wolltest du weichen,    nicht Widerstand tun,
dich heimlich halten,    was Hohn schuf dem Fürsten.

Felix Genzmer überträgt (Str. 99):
 
Nie kamst du vom Dinge*,    daß wir dieses hörten,         *Ratsversammlung
wie du Klagen begannest    und die Gegner beugtest:
du wolltest nur weichen    nie zur Wehr dich setzen,
alles annehmen,    was andere dir taten.

In den Eddatexten wird an keiner Stelle von Gudruns Anwerbung oder gewährter Hilfe von wenigstens einem Gefolgsmann Atlis gesprochen. Nach den Darstellungen in der Thidrekssaga und altschwedischen Überlieferung soll Ritter Irung ihr einzigster und somit zum Scheitern verurteilter Verbündeter gewesen sein. Auch damit dürfte dem mediävalliterarischen Potenzial einer Rollentransduktion der eddischen Protagonistin auf Hǫgni/Hagen eine klare Grenze gesetzt sein. Widukind von Corvey, dessen chronistische Zuverlässigkeit nicht unerheblich beanstandet wird, überliefert übrigens seinen Edelmann Iring in Diensten einer fränkischen Amalaberga, die er aus einer memorabilis fama als Schwester von einem in thüringischen Beziehungen involvierten Thiadrich rezipiert haben soll.


Dráp Niflunga

Diese kurze heldeneddische Prosa zum Untergang der Niflungen findet sich nicht in der Thule-Ausgabe von Felix Genzmer, der im Vergleich mit Simrock streckenweise abweichend überträgt. Die Dráp Niflunga wird hier in der von Gustav Neckel herausgegebenen Übersetzung von Karl Simrock nachgereicht:(6)
 
Gunnar und Högni nahmen da alles Gold, Fafnirs Erbe.
   Da entstand Feindschaft zwischen den Gjukungen und Atli. Denn er beschuldigte die Gjukungen, sie seien an Brynhilds Tode schuld. Da verglichen sie sich dahin, daß sie ihm Gudrun zur Ehe gäben. Dieser aber gaben sie einen Vergessenheitstrank zu trinken, ehe sie einwilligte, daß sie dem Atli vermählt würde. Atlis Söhne waren Erp und Eitel; aber Gudruns Tochter von Sigurð war Swanhild.
   König Atli lud Gunnar und Högni zum Gastgebot, wozu er sich als Boten des Wingi oder Knefröd bediente. Gudrun ahnte Tücke und schickte in runischen Zeichen Warnungsworte, daß sie nicht kommen sollten, und zum Wahrzeichen schickte sie dem Högni den Ring Andwaranaut, an den sie ein Wolfshaar knüpfte. Gunnar hatte Oddrun, Atlis Schwester, zur Gemahlin begehrt, aber nicht erhalten. Da vermählte er sich der Glaumwör und Högni der Kostbera. Deren Söhne waren Solar, Snäwar und Gjuki. Als aber die Gjukungen zu Atli kamen, da bat Gudrun ihre Söhne, daß sie der Gjukungen leben erbäten; aber sie wollten das nicht. Dem Högni war das Herz herausgeschnitten, und Gunnar in den Schlangenhof geworfen. Er schlug die Harfe und sang die Schlangen in den Schlaf; aber eine Natter durchbohrte ihn bis zur Leber.

Die einleitende Darstellung dieser kurzen Überlieferung entspricht zwar dem auch von der Vǫlsunga saga eröffneten Motiv für Atlis heimtückische Einladung, jedoch soll Sigurðs Hort im Besitz von Gunnar und Hǫgni durch Gudruns Vermählung mit Atli ausgeglichen worden sein. Der Verfasser der Dráp Niflunga will offensichtlich aber auch darauf hinaus, dass Atli Wiedergutmachung für den Tod seiner Schwester Brynhild (und somit auch deren Nachlass) zustünde.

Die von Simrock gelieferte Einleitung in die Guðrúnarkviða II beginnt mit dem Hinweis, dass König Dietrich (Þioþrecr) bei Atli die meisten seiner Mannen verloren hatte. Wie Gudrun schließlich in der Guðrúnarkviða III steigernd behauptet, sollen gar alle Gefolgsmänner von Þioþmars (Dietmars) Sohn in der Niflungenschlacht gefallen sein. Allerdings geht aus beiden Liedern nicht unmittelbar hervor, auf welcher Seite König Dietrich mit seinen Gefolgsleuten gekämpft haben soll. Die Thidrekssaga stellt dessen enge persönliche, durch gegenseitige Unterstützungen in militärischen Aktionen gefestigte Beziehung zu „Attila“ jedoch nicht durch den Soester Niflungenfall in Frage. Der von Roswitha Wisniewski lokalisierte Wedinghausener Chronist verfolgt schlussendlich jene Darstellung von Herrscherablösung und Legitimation, wonach niemand anderem als Dietrich von Bern die Übernahme von „Attilas“ Reich gebührt.

Für die mit Erzählstrukturen aus der unmittelbaren Vorlage des oberdeutschen Reimepos rahmende Soester Überlieferung des Niflungenuntergangs sind vermittlerische Transformationen vor allem an den Rollen und Schicksalen von Hagen u n d  Hǫgni (vgl. Nibelungenlied und Helden-Edda) deutlich zu erkennen. Die aus unterschiedlichen Motivvarianten unter anderem auftauchende Frage, ob gegenüber einem ungefragt vorpreschenden Hildebrand vielmehr Dietrich von Bern als eigenhändiger Vollstrecker an Grimhild eine heldenepische Emendation aus niederdeutscher oder weiter nördlicherer Feder darstellt, mag also ebenfalls von Interesse sein. Doch andererseits wird sich weniger der nördlichere Saga-Skriptor als vielmehr der niederdeutsche „Chronist“ (Historiograf, vgl. Wisniewski) im Rahmen seiner erzähltypologischen Bandbreite nicht lange nach einem angemessenen Vollstrecker für die Braut des Teufels umgesehen haben müssen.

Nach den Berichten und Ritter-Schaumburgs Zeitstellung der Thidrekssaga und ihrer altschwedischen Überlieferung folgt das interpretative Bild zur historischen Frankenexpansion, wonach ein zur Machtenthebung bestimmter ostrheinischer Herrscher mit einer dazu verräterischen Einladung konfrontiert wurde oder sich einer solchen bediente (vgl. bes. beide heldeneddische Lieder). Da die Schlachtereignisse von den nordischen Traditionen auf Atlis bzw. „Attilas“ Boden überliefert werden, könnte er insofern nur als subtil vorgehender Aggressor identifiziert werden. Dieser Fall scheidet aber aufgrund Kriemhilds Rolle im ohnehin historisch transponierenden Nibelungenlied aus, und er ist auch für die aus gegensätzlichen Atli-Etzel-Positionen scheinbar Kompromisse anstrebenden altschwedischen Texte nur schwierig (falls überhaupt) schlüssig darstellbar.

Die hier herangezogenen Überlieferungen lassen die vernichtende Niedermachung einer aus westrheinischem Gebiet angerückten Völkerschaft durch einen über familiäre Beziehungen geschürten Verrat erkennen. Diese zur frankenhistorischen Entwicklung aus Wedinghausener Perspektive schlussendlich wegbereitende Niederlage soll für jene niederdeutsche bzw. westfälische Region eine entscheidende verteidigungsstrategische Schwächung bewirkt haben, welche die Thidrekssaga und altschwedische Überlieferung chronistisch ausweisen. Zu der mit diesen Textzeugnissen legitimierten Herrscherablösung eines niedergermanisch- ostrheinisch zu sehenden „Attila“ durch „Dietrich von Bern“ – rezeptionell wie raumzeithistorisch hindeutend auf die von Theuderich I. eingeleitete ostrheinisch-fränkische Präsenz – liegen sonst keine historischen Quellen vor, die hierzu eine plausiblere literarhistoriografische Gegendarstellung rechtfertigen.

Offenbar, so die Thidrekssaga bzw. deren Quelle, darf jedoch bezweifelt werden, dass für diese fränkische Land- und Machtübernahme weniger Blut vergossen wurde als andere noch zeitnah berichtende fränkische und sächsische Schreiber dazu vollends an Tinte eingespart haben.(7)


Endnoten

1  Im Zwiegespräch über ihre Rache an Atli grämt sich Gudrun wegen der Erschlagung Sigurðs (vgl. Atlamál). Mit dem somit greifbar erscheinenden Vorwurf gegen ihre Sippe ist Sigurðs Tod allerdings nicht als Gudruns Hauptmotiv darstellbar, weil sie ihre Verbindung mit Atli als das für sie schlimmere Los empfunden hat. 

2  Auf S. 135 in Sage und Wirklichkeit. Dietrich von Bern und die Nibelungen ist irrtümlicherweise von einer durch Gudruns Mutter zur Disposition gestellten Bruderrache die Rede. Wie auch dort dem nachfolgenden Kontext leicht entnommen werden kann, ist jedoch Gattenrache für ihre Tochter das Kriterium für die eddische Grimhild

3  Nach Roswitha Wisniewski soll dieser Schreiber im Soester Raum bzw. im Kloster Wedinghausen umfassendes Vorlagenmaterial für die Thidrekssaga (= Zweite Quelle) geliefert haben. Die erheblich früher entstandene Reimdichtung Waltharius überliefert die Nibelungenführer Gunther und Hagen als Franken; dazu u.a. der Verfasser unter
https://www.badenhausen.net/harz/svava/MerovingSvava.htm .

      Trotz einiger irriger inhaltlicher Vorstellungen und Interpretationen heißt es im altnordischen bzw. altisländischen Prolog zur Thidrekssaga (Sammlungsbestand jüngere A/B-Handschriften), dass sie in der Zeit entstanden ist, als Kaiser Constantinus der Große gestorben war, welcher beinahe die ganze Welt zum Christentum bekehrt hatte; aber nach seinem Hintritte verfiel das Christentum wieder und erhoben sich allerlei Irrtümer, so dass in dem ersten Teil dieser Saga niemand war, der den rechten Glauben hatte ...
      Flavius Valerius Constantinus starb in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Vergleicht man mit dieser Zeitangabe die inhaltlichen Darstellungen der ersten Berichte der Thidrekssaga und altschwedischen Textzeugnisse, so fallen nach Ritter-Schaumburgs Zeitmarken sowohl die Geburtszeiten von Samsons Vaterbruder Thetmar als auch Hildebrands Großvater Ragbald in die zweite Hälfte bzw. in den Endbereich des 4. Jahrhunderts. 

4  Die auch dazu scheinbar gerechtfertigte Folgerung, das Werk des Chronisten/Historiografen (sofern hierzu kontextuell als Vorlage der Thidrekssaga von maßgeblicher Bedeutung) gründete sich auf die bevorzugte Verwendung von Heldenliedern, schließt verschollene historische Quellen kategorisch aus und muss daher zurückgewiesen werden. 

5  Die Streichung dieses ersten Aufeinandertreffens der oberdeutschen Kriemhild mit Dietrich von Bern in der Vorlage und/oder durch die Feder des altnorwegischen bzw. altisländischen Stoffvermittlers erscheint im Gesamtkontext wenig aussichtsreich. Bereits aus den Schilderungen von Sigfrids Erschlagung, später vor allem aus beiden Markgraf-Episoden und schließlich der Hinrichtung der Gattenrächerin gehen derart auffällige Übereinstimmungen hervor, dass hier eine Vorstufe Patin gestanden haben dürfte. Insoweit müsste diese Quelle der jeweiligen Erzählintention angepasst, also entsprechend erweitert bzw. „individualisiert“ worden sein.
      Zu Sigfrids Erschlagung fällt insbesondere das sehr schmale Zeitfenster zwischen den oberdeutschen Redaktionen vom Liedepos, dem
Daurel et Beton aus dem Sagenkreis um Karl den Großen und der ältesten Handschrift der Thidrekssaga bzw. ihrer nicht vorliegenden, aber forschungskritisch durchaus fordernden (Groß-) Vorlage auf. Unter Umgehung der verfügbaren Handschriften des Nibelungenliedes beziehen sich Roswitha Wisniewski und der Verfasser daher auf die höhere Wahrscheinlichkeit eines kürzeren Übermittlungswegs von sowohl französischen als auch niederdeutschen Vorlagen zur altnorwegischen bzw. altisländischen Stoffverarbeitung. 

6  Die Edda, hrsg. G. Neckel; Deutsche Buch-Gemeinschaft G.m.b.H., Berlin 1927. Siehe S. 390–391. Neckel einleitend zu den nach Simrock angefertigten deutschen Übersetzungen von Gering und Genzmer (S. 7):
»Gering konnte dank seiner gründlicheren Sprachkenntnis zahlreiche Fehler Simrocks verbessern. Doch fehlte es ihm an dem dichterischen Feingefühl seines Vorgängers. Darin ist Genzmer ihm überlegen, und dieser hat von Simrock gelernt und manches von ihm entlehnt. Genzmers Edda bedeutet gegenüber der Geringschen ein Zurücklenken zu Simrock. Doch kann man nicht sagen, daß Genzmer alles, was an Simrocks Arbeit dauernd wertvoll war, übernommen und gerettet habe. Es klafft ein weiter Abstand zwischen diesen beiden besten Nachdichtungen der Eddalieder, und das ist nicht bloß der Abstand der Zeit. Was bei Genzmer – und in den von Heusler beigesteuerten Einleitungen – anders lautet als bei Simrock, darin äußert sich nicht durchweg der bedeutende Fortschritt der Erkenntnis, der dazwischen liegt, sondern vielfach nur eine andere Betrachtungsweise. Die Simrocksche Betrachtungsweise, die weder bei Genzmer noch bei Gering wiederkehrt, ist keineswegs veraltet.«

7  Man beachte u.a. die Datierungsspanne der von Ritter-Schaumburg aufgezeigten fränkischen Kammergräberfunde nahe dem heutigen Stadtzentrum von Soest. Man wird dem von Wisniewski identifizierten Soester „Chronisten“ nicht zum Vorwurf machen können, dass die im Jahr 1937 vom Soester Bürgermeister Heinrich ten Doornkaat Koolman [Soest die Stätte des Nibelungenunterganges?] aufgegriffenen Lokalfunde an Wagenladungen von Menschenknochen nicht auf Stimmigkeiten/Widersprüche zu den Schlachtdarstellungen untersucht und datiert wurden (vgl. Ritter-Schaumburg: Die Nibelungen zogen nordwärts, S. 197).
      Zur Identifikation der historischen Titelgestalt von Thidrekssaga und den altschwedischen Texten der Verfasser u. a. in Die Nibelungen – Dichtung und Wahrheit, Münster 2005 (S. 131):
      »Es mag hier (am Schauplatz des Niflungenuntergangs, Anm. d. Verf.) nun dem politisch vorausschauenden wie individuellen Geschick von Didrik/Theuderich überlassen geblieben sein, mit welchem persönlichen Status er sich nach seinen etlichen Exkursionen erneut in der ihm wohlbekannten sächsischen Reichsresidenz vorstellen musste, um als interessierter wie zunächst auffällig passiver Zeitzeuge direkt vor Ort ein wahres Bild über die militärische Stärke beider Parteien zu gewinnen; und tatsächlich überliefert uns die Thidrekssaga ja gerade hierzu ein analoges Bild!«
      Die Zuordnung eines »sächsischen« auf das migrationszeitliche Soest basiert auf einem grob rückprojizierten Oberbegriff. In seiner Frankengeschichte über das 6. Jahrhundert bezieht sich Gregor von Tours zu nördlichen und mittleren bis südlichen rechtsrheinischen Territorien lediglich auf die Sachsen, Thüringer, Suavi und von Teilen der Forschung mit „schwäbischen“ Völkern gleichgesetzte Alemannen. Auf das Jahr 556 oder 557, soweit erzählungschronologisch datierbar, vermerkt Gregor einen zerstörerischen Zug von plündernden „Saxones“, die aus ihrem Gebiet („exeuntesque de regione sua“) in das mit dem einstigen niederrheinischen Römerstützpunkt Deutz gleichgesetzte „Divitia“ eingefallen waren. Zum vorzitierten Passus und gegenüber den Darstellungen der Thidrekssaga und altschwedischen Überlieferung stellt sich die nicht unberechtigte Frage, ob ein geschickt vorgehender Thidrek–Didrik–Theuderich vielmehr selbst westrheinische Franken gegen ostrheinische Völkerstämme rund um den Soester Raum mobilisiert haben konnte. (Dagegen jedoch der laut den Handschriften unmittelbar nach der Soester Schlacht aufgegebene Exilstatus des Königs.)
      Zum seinerzeit exponierten kulturellen und insoweit auch wirtschaftlichen Stellenwert von Soest im 6. Jh. zitiert Ritter-Schaumburg den Frühgeschichtler und Archäologen August Stieren:
»Der Goldreichtum in den älteren Gräbern von Soest fällt auf, insbesondere gegenüber der Goldarmut in den bisher bekannten Friedhöfen dieser Zeit in Westfalen.« [Ein neuer Friedhof in fränkischer Zeit in: Germania  XIV, Heft 3,  Jg. 1930, S. 174.]
und führt S. 205 weiter aus:
»Der Goldreichtum dieser Gräber deutet auf eine zentrale Macht, die gewohnt war, aufwendig zu leben, prächtig zu schenken und zu empfangen; eine Macht, die edelstes Material auch aus fernen Ländern (Almandine) durch erste Künstler verarbeiten ließ, oder kostbaren Schmuck erwarb, trug und schenkte. Diese fürstliche Macht im frühen Soest, von der wir geschichtlich keine Kunde haben, wird durch die Funde bezeugt.«
      Nach den fund- und erzählungscharakteristischen Kontexten wird man die Soester Überlieferungen der Thidrekssaga mit den martialischen Feminismus glorifizierenden, zumindest hochstilisierenden Atliliedern der Heldenedda zu vergleichen haben. Doch vor allem deren älteste Überlieferung weis bereits den Reichtum der Schatzkammern Atlis gebührend herauszustellen.