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Um
die Gestalt des Thidrek (Didrik, Dietrich) von
Bern [...] gruppiert sich eine
größere Zahl
ursprünglich vermutlich in andere Kontexte gehörende
Heldensagen
wie diejenige von Siegfried, die Nibelungensage, die Sage von Wieland
dem
Schmied und die Wilzensage, deren Protagonisten mittels Gefolgschaft
oder
Verwandtschaft mit Thidrek verknüpft werden.
Dadurch wird die Thidrekssaga zur frühesten Kompilation
deutscher
Heldensagen in Prosaform, weshalb sie in der germanistischen Forschung
häufig benutzt wird.
[Wikipedia
(WP) unter Thidrekssaga, 29.04.2008.] |
Eine mit seriösen Stoffanalysen nicht
abzusichernde Aussage
— wie belastbar ist eine forschungswissenschaftliche Position
für „vermutlich“
in andere Kontexte gehörende Sagen über Heldengestalten,
die
nicht zum
Lebenszyklus und Aktionsbereich eines historisch möglichen
Ur-Dietrich zählen dürfen?(1)
Wer die keineswegs unumstrittene Beitragsgestaltung unter
dieser „Thidrekssaga“ in deren
Netzprotokollen weiter verfolgte, dem begegnete noch jene
Ritter-Schaumburg
gewidmete Rauswurfkampagne von 2010, wo in kaum mehr als einem
hysterischen Aufschrei
und doch nicht weniger als zur Wahrung einer möglichst
unbefleckten communis opinio von „Verschwörungstheorie“
und
„Säubern“, gar einem Relevanzwert von
Ritter-Schaumburg gleich einem „Erich von Däniken“ die Rede
ist. |
Nur soweit zu diesem Vorgang, der nicht zuletzt für die
forschungspopulistische Protektion des ostgotischen Dietrich von
Bern-Herkunftsmythos gedient
haben mag.Ref
1 Doch auch zu eben diesem lassen sich
keineswegs unprofessionelle
Forschungsbeiträge zurückweisen, die selbst mit aufgezeigten
Motivrezeptionen aus mittelhochdeutscher Heldensage die Thidrekssaga
und die altschwedischen Texte
als historiografische Textzeugnisse
von bemerkenswerter wie keineswegs unbelastbarer chronistischer
Quellensubstanz zu manchen Erzählungskernen aufgezeigt
haben.(2) |
Demgegenüber kann man
in zweckgefärbter
Zielsetzung sicherlich weiterhin erfolglos versuchen, authentisch
erscheinende
oder mit einem fragmentarischen Geschichtsbild vereinbare
Vermittlungswerte einer historiografischen Überlieferung
anhand von
Dichtung und Heldenepik auszublenden. Und wer dieses Vorgehen noch
immer
für das einzig geeignete hält, der wird
höchstwahrscheinlich
auch an seine daraus gewonnenen Erkenntnisse glauben. Denn nach solchem
Schema darf schon im Interesse einer unbedingt abzustützenden
Forschungsbibliografie davon abgesehen werden, mit literatur- und
geschichtswissenschaftlich fundierten Quelleneigenschaftsanalysen
weitere
Aufschlüsse über die erzählerische
Hauptidentität einer
Überlieferung wie der Thidrekssaga zu gewinnen. Ein von Heinz
Ritter-Schaumburg erforschtes Werk, das sein
Historizitätspotenzial durch Folgerichtigkeiten zu
nachvollziehbaren
Grundvoraussetzungen, Verhältnissen und Vorgängen auch vor
dem
Hintergrund eines rezeptionellen mediävalchronistischen
Darstellungsvermögens durchaus
selbst anzudeuten vermag. |
Nun ist hinlänglich
bekannt und unumstritten, dass die
Glaubwürdigkeit von schriftlichen und mündlichen
Überlieferungen
in besonderem Maß von ihren Urhebern und Kopisten
abhängt. Daher ist
leicht nachvollziehbar, dass Historiker klerikales Schrifttum
über
geschichtliche Ereignisse bevorzugen, die zumeist in
„Chroniken“ oder „Annalen“
aufgezeichnet wurden. Abgesehen von einigen durch die vergleichende
Textforschung reklamierten Ausnahmen wird in
vergleichbarer
Wohlgesonnenheit auch das Schriftgut säkularer
Geschichtsschreiber, so
von Skribenten des Römischen Reiches, von unserer
Geschichtsforschung
selektiv kreditiert. |
Es ist außerdem
bekannt, dass uns über den von Ritter-Schaumburg lokalisierten
Ereigniszeitraum der Thidrekssaga-Berichte – das
mittel- und nordosteuropäische 5. und 6. Jahrhundert
– Geschichtszeugnisse aus einer überwiegend zur latenten Wertung
neigenden Retrospektive überliefert wurden. Unter diesen
Vermittlungen befinden sich die zwar unseren Historikern noch am
verlässlichsten erscheinenden, aber dennoch teilweise recht
subjektiv anmutenden und
keineswegs vollständigen Aufzeichnungen über die frühe
Frankengeschichte – siehe neben einigen lückenhaft berichtenden
ostgotischen Schreibern vor allem z.B. Gregor von Tours und
„Fredegar“. Dagegen
soll der um die Mitte des ersten nachchristlichen Jahrtausends in den
weiter nördlichen und östlichen Breiten abgewickelte
Nachrichtenverkehr weniger auf Runenübertragung, sondern
vielmehr
auf jener weitaus gebräuchlicheren Übermittlungsform
beruht haben, die noch nicht
chronistisch-schriftlich, sondern „sagen-artig“ bzw. „auditiv“
organisiert war: der „Sagamann“ als geläufiges
akustisches
Informationsmedium. Er sollte, weil er auch weniger realistische
Informationen wissentlich oder unwissentlich
weitervermitteln konnte, über ein Jahrtausend später in das
Kreuzfeuer
der Kritik der Geschichts- und Literaturwissenschaft geraten, die sich
zumeist mit obsoleten Bewertungskriterien, so von Ritter-Schaumburg
attestiert, um die Selektion und Klassifikation seiner Berichte
über einen König Dietrich von Bern bemüht hat. |
Bei der literarischen Einordnung der Thidrekssaga dreht es sich
bekanntlich um zwei unterschiedliche und vor allem entgegengesetzte
Ausgangspunkte: Im trügerischen Schein ostgotisch-romanisch
begriffener Sagenpriorität gehen Germanistik und Nordistik(3)
von mehr oder weniger kunstvoll gestalteter Heldenepik aus, deren
angeblich unrealistische wie scheinbar unzureichend konvergierende
Einzelerzählungen auf überwiegend fabulierenden oralen
Traditionswegen angeliefert und – gemäß literarischer
Zielsetzung –
schließlich in einen redaktionell aufbereiteten Gesamtkontext
gebracht wurden. Dagegen spricht jedoch Ritter-Schaumburg, der in der
Thidrekssaga und den mit ihr weitgehend konformen
altschwedischen Texten vielmehr eine episch umrahmte chronikalische
Überlieferung mit gesamtinhaltlich nur sehr wenig
widersprüchlichen
Erzählungspartien erkennt. Wie er anhand dieser Berichte,
anerkannter und anerkennungsfähiger Geschichtsschreibung weiter
folgert, kann deren übergeordneter Titelprotagonist nicht nur
nach geografischen Kriterien jedoch mit keiner überzeugend
interpretierbaren Sagengestalt für
einen angeblichen ostgotischen König Theoderich parallelisiert
werden. Da
sich über diese Kontroverse bislang keine nennenswerte
Annäherung abzeichnet, darf man u.a. noch gespannt sein, ob die
Fachwissenschaft mit gleichermaßen unpräjudizierenden
Vorsätzen zwischen der
Glaubwürdigkeit der von ihr noch wenig beachteten
altschwedischen Überlieferung und – wie beispielsweise mit der
Nibelungenforschung in Verbindung zu bringen ist – dem Wahrheitsgehalt
einiger hochgeistlicher wie offenbar mit dem Nibelungenlied
zusammenhängende Textzeugnisse vom realhistorischen Passauer
Bischof Pilgrim zu unterscheiden vermag. |
Ebenso wird man auch außerhalb der
lehrwissenschaftlich betriebenen
Forschung bei der Bewertung von frühgeschichtlichem
Quellenmaterial
noch gebührend zu berücksichtigen wissen, dass
mediävale
Chronisten und Historiografen auf narrativen Darstellungen
zumeist weltlicher
Erstinformanten von den Schau- und Schmiedeplätzen
berichtenswerter Ereignisse
vertrauen und bauen mussten. Sich dessen ungeachtet noch in
grundsätzlich
schwierigem Metier bewegende chronistische Schreiber wie etwa Gregor
von Tours,
Fredegar oder Jordanes liefern allerdings auch Beispiele für
vermeidbare
Voreingenommenheiten oder oft unvermeidbar unkritische Einstellungen
gegenüber ihren Quellen. |
Höchstwahrscheinlich
dürfte sich also die rhetorische
Frage erübrigen, welchen Stellenwert man der Thidrekssaga
– und zuvorderst
der sog. „altschwedischen Dietrich-Chronik“ – auf der
bibliografischen Wertigkeitsskala
der scholastisch dominierenden, jedoch nach Ritter-Schaumburg
längst
überholungsbedürftigen Germanistik und Nordistik
zugewiesen
hätte, wenn die in Rede stehenden Pergamentschriften von
geistlicher Hand
in feinem Latein verfügbar und noch vor denen des
Nibelungenlieds datierbar wären. |
Tatsächlich sollte aber eine ordinierte
Germanistik-Professorin und ehemalige
Schülerin von Helmut de Boor, einem ausgewiesenen Experten
insbesondere
über die mittelhochdeutsche Heldenlieddichtung, einen
bemerkenswerten
Indizienfund machen, der nach ihrem Urteil die unmittelbare Vorlage der
Thidrekssaga mit
vorrangiger
Wahrscheinlichkeit aus einer klerikalen niederdeutschen Urheberschaft
entstammen
lässt: |
Roswitha Wisniewski sieht mit
ihrer quellenkritischen
Untersuchung Die Darstellung des Niflungenunterganges in der
Thidrekssaga
(Hermaea, Tübingen, 1961) die altwestnordische und
altschwedische
Überlieferung des Dietrich von
Bern unter der literarischen Verantwortung eines
hochmittelalterlichen Skriptors im
westfälischen Kloster Wedinghausen (Arnsberg).
Auffällige Anspielungen in der
Kloster-Erzählung Wadhincúsan,
so folgert die Literaturwissenschaftlerin zu
dem in der Thidrekssaga hinterlegten Heime-Ludwig-Bericht, sprechen
vielmehr für
einen versinnbildlichten Herkunftsnachweis über einen
maßgeblichen
Entstehungs- bzw. Bearbeitungsort ihres niederdeutschen
Quellenmaterials. |
Insoweit zählt Wadhincúsan =
Wedinghausen gerade im Zusammenhang mit der von Ritter-Schaumburg
initiierten
Thidrekssaga-Forschung zu einem besonders wichtigen Kriterium für
die Edierungsgeschichte der altwestnordischen Handschriften. |
Roswitha Wisniewski geht zu
ihrer quelltextlichen
Argumentationsgrundlage von jenem späten Kapitel in der
Thidrekssaga aus, wo es den
seine
Sünden bereuenden Heime (Heim, Heimir) in ein Kloster auf
einem offenbar anliegenden Gebiet des inzwischen verstorbenen
Herrschers Ermenrik zieht und der Gefolgsmann von König Dietrich
sich inkognito unter dem
Aliasnamen „Ludwig“ dem
Abt von Wadhincúsan vorstellt.
Die Fachwissenschaftlerin bringt nun diese Episode
mit einem literarisch bzw. urheberschaftlich hinterlegten Stellenwert
des 1170 gegründeten Wedinghausener
Prämonstratenserklosters in Verbindung,
dessen Ordensbrüder traditionsgemäß
weiße Kutten getragen haben
sollen. Eine relativ kurze Zeit nach seiner Gründung, und zwar
zwischen 1210 und
1236, soll nach mehrfachen Einträgen im Westfälischen
Urkundenbuch
(Staatsarchiv Münster) dort tatsächlich ein Ludewicus dem
Kloster als
„Scriptor“ gedient haben. Die Thesenverfasserin
erkennt nun in diesem Ludwig den
Überlieferer bzw. „Vorredaktor“ der
Thidrekssaga, wie er sich – übrigens in
einer literarisch keineswegs unüblichen Manier – auf
erzählungsgeschichtlicher
Ebene durch das Heime-Ludwig-Implantat verewigt wissen wollte.
Gleichwohl gibt die
Analystin anhand weiterer quelltextlicher Übermittlung zu
bedenken, dass der sich
als Klosterbruder bewerbende und schließlich in die
Ordensgemeinschaft eintretende
Heime eine schwarze Kutte anzog wie die anderen
Mönche und deutet das
nunmehr unstimmige Erscheinungsbild als einen Zusatz, der auf einem
ausmalenden
altnorwegischen Additiv beruhen mag. Anzumerken wäre aber auch,
dass zum weitläufigeren
Identifikations- und Deutungspotenzial dieser Episode noch in
Anspielung auf die Gesta Hludowici (vgl.
Thegan Kap.
19) unter Heimes Aliasnamen
eine – von neuerer Forschung offenbar kategorisch zu
relativieren versuchte
– destruktiv verdrehte Frömmigkeit persifliert werden konnte.
Die Zusammenhänge zwischen Autor und dieser Episode wären
für diesen nicht ausgeschlossenen Fall zudem auch unterhalb
Bericht
gebender Oberfläche zu suchen. |
Die Tragweite
möglicher Folgerungen und
Konsequenzen aus einer derart verankerten Bearbeitungssignatur
gleichwohl erkennend wollen Roswitha Wisniewskis akademische
Kolleginnen
und Kollegen ihre These als kaum haltbare Spekulation beurteilen.
Hierzu
verweist Susanne Kramarz-Bein unter anderem auf die für das
„altnorwegische
Entstehungsmilieu“ scheinbar maßgeblichen
Einflüsse
und somit auch für den zu Bergen unterstellten
„Sagamann“ auf den
für ihn putativ vorbildlichen Benediktinerorden (Kuttenfarbe!) im
Kloster
Múncalíf. Da nach glaubhaft vertretbaren
Transmissionskriterien
unter „Entstehungsmilieu“ sehr wohl die nicht nur von
Ritter-Schaumburg aufgezeigte
Übertragungsmentalität „altnorwegischer
Vorlagenumsetzung“ verstanden werden darf, wird man auch aus dieser
Teilperspektive eine erheblich fundiertere Entkräftung von
Wisniewskis Wadhincúsan-These
verlangen können. |
Mit einigen die „communis opinio“ weiter protegierenden
Zitaten und Interpretationen aus diversen Forschungsbeiträgen hat
dagegen Susanne
Kramarz-Bein zu ihrer Professur versucht, einen tragenden Pfeiler einer
fachwissenschaftlich zugelassenen Habilitation auszuhebeln,
wobei die längst dominierend
detektierte chronistische Quellensubstanz der „Niflungen-Saga“
übrigens
nirgends
als pseudohistorische Geschichtsdarstellung entlarvt werden konnte.
Zum Interpretationskomplex Wadhincúsan =
Wedinghausen im Langbarða land
bezieht sie sich unter anderem auf William J. Pfaff, der mit dieser
leicht zu dekontextualisierenden Interimsfolgerung jedoch
keineswegs einen Veriss von Wisniewskis quellenkritischer Untersuchung
des Niflungenuntergangs rezensiert:
|
It seems hard to believe, however, if the saga
writer were working with a chronicle
written in Wedinghausen, that he would place
the monastery in Italy or that he would
have found the form Wadhincusan before him.
(The Journal of English and Germanic Philology, 61,
1962, S. 948–952. Siehe Seite 951.) |
Damit betont Pfaff die lediglich geografische Auffassungsdiskrepanz
zwischen neuzeitlicher und mittelalterlich-chronistisch verwendeter
Kartografie des Ptolemäus, wonach die Suevi Longobardi in
Westfalen angegeben werden.
Jedoch relativiert Pfaff anhand weiterer literaranalytischer
Abwägungen im Schlusssatz seiner Rezension:
Surely many of the errors
in geography and legendary history are more likely to have been made in
Bergen than in Westphalia.(4)(5) |
Aus der altphilologisch unkritisch übernommenen Auffassung
über eine vielmehr „italienische Provenienz des Vorlagenmaterials
der altwestnordischen Texte“, siehe bereits
Friedrich Panzer und Dietrich von Kralik,
lässt sich unschwer folgern, dass die germanistische
und nordistische Anerkennung des von Ritter-Schaumburg erkannten
chronistischen Raum- und Handlungsprofils der Thidrekssaga eine
nicht unerhebliche Schmälerung ihrer eigenen literarischen
Wertungsbildnisse bedeuten dürfte. Noch vor diesem Hintergrund
wird man die schließlich von Heinrich Beck bemühte
Anschauung eines –
schlussfolgenderweise auf den Punkt gebrachten – „angeeigneten“
Erzählungstopos' zu sehen haben: Die seit den
1980er Jahren ebenso forschungskritisch wie provozierend aufgezeigte
geografische Homogenität der Thidrekssaga stünde demnach in
einem dazu keineswegs
konformen Zusammenhang mit den übrigen inhaltlichen Darstellungen,
müssen also diese hinsichtlich realhistorisch postulierter
Kernerzählungen nichtsdestoweniger so zweifelhaft, gar so unsicher
wie
eben die einer „Sage“ gesehen werden. Die inhaltliche Grundsubstanz der
altwestnordischen wie auch altschwedischen Manuskripte soll hier also
nicht
an den raumstrategischen Schlüssigkeiten einer sich um Genauigkeit
bemühenden geografischen Orientierung gemessen werden.(6) |
Wenn Heinrich Beck, der in seiner Rezension über Ritter-Schaumburg
ein beachtliches Kombinationsmaß an Dichtungs- und
Forschungsphantasie
aufbietet, sich auf eine eher herablassend als konstruktiv
erscheinende Argumentation verlegt und dabei u.a. verkündet, dass die
Thidrekssaga für den naiven
Leser den Eindruck eines
geschichtlichen Berichts erweckt (Z.f.d.Ph. 112, 1993; m.
Hervorhebung zitiert), dann mögen einige lakonisch
erscheinende Schlussziehungen
vom Bonner Thidrekssaga-Symposium noch am ehesten dem nicht
überzeugenden Grundsatzurteil H. Becks über eine
Überlieferung genügen, die Friedrich Panzer nicht ohne
dichtungsgetrübtem Blick
längst vor ihm als „Schmerzenskind der Germanistik“ begriffen hat.
Und wenn nicht nur H. Beck zur Ehrenrettung nicht mehr
überzeugender alt- und neuwissenschaftlicher
Deutungsfunktionalismen die Thidrekssaga als ein vorherrschend subtiles
Konstrukt festschreiben möchte, so vermissen wir u.a. zu
deren Quellenlage eine plausible literarfunktionale Grundlage, die
mediävalhistoriografische Darstellungen anhand von beispielsweise
oberdeutscher Reimepik, fabulierenden Prosa-Stoffzyklen und dazu
bemühten chronistischen Interferenzen als heteromorphes Patchwork
zu falsifizieren gestattet. |
Soweit zum ideologischen
Hauptgleis, auf dem Germanistik und
Nordistik mit der Auslegung der Thidrekssaga als zeitsprunghaft
anachronistischer,
nach historischen Sprenkeln gestrickter Erzählungsband aus
Heldendichtung und Heldensage
befasst sind. Doch dabei wird nicht mit Antagonismen aus konservativer
Ignoranz und
Überheblichkeit gegenüber den ausgewiesenen
Literaturwissenschaftlern
Wisniewski und Ritter-Schaumburg gespart. Gegen die These von
Wisniewski führt Kramarz-Bein(7)
noch jene durchschaubar tendenziöse Analyse von
Horst P. Pütz ins Feld: Auch er will nicht ansatzweise
urheberschaftlich verwertbare Indizienkontexte
in der Heime-Ludwig-Denkmalsetzung als Signatur des niederdeutschen
Scriptors erkennen und vielmehr glauben machen,
… dass der Saga hier auch im Bereich der Personennamen ein
falscher
Realitätscharakter abverlangt wird (Z. f. d. A.
100, 1971). Wie auch andere
fragwürdige Analysten will Pütz
in der Thidrekssaga vielmehr hauptsymptomatische Heldendichtung
erkennen, so dass er mit beschränkenden Ansätzen und
Wertungshorizonten zur Quellenproblematik die von Roswitha Wisniewski
nahegelegte Urheberschaftsanspielung nicht für deren
literarhistorische
Wahrscheinlichkeit thematisieren muss. |
Mit dem bereits seit den
achtziger Jahren vorliegenden
Erkenntnisstand kann zur deutlichen Erhärtung der
Wisniewski-These u.a. noch
ergänzt werden, dass nicht nur Kramarz-Bein den Heime-Moniage
textinterpretativ unausgewogenen kommentiert: Wie schon
Ritter-Schaumburg
im Anhang seiner deutschen Erstübersetzung der altschwedischen
Handschriften aufgezeigt hat, wird man hier – und insoweit
zum unmittelbar
möglichen Vorbericht für die älteste und hier die
Heime-Ludwig-Erzählung
allerdings nicht (mehr) beinhaltende Festlandhandschrift –
eine Quellenrelevanz
auch zum Vorlagenbestand der altschwedischen Übertragung
mitsehen müssen.
Und so findet sich in dieser kein einziges Wort über eine
schwarze
Mönchkutte von Heime bzw. „Ludwig“. Es
heißt dort an der einzigen
entsprechend möglichen Stelle:
… (er) … nahm Kutte und
Mönchskleider und gab sich in den
Orden mit ihnen … (Sv 370). |
Da Kramarz-Bein wiederholt
eine Reihe von kollegialen
Einschätzungen zitiert, die von einer niederdeutschen, eventuell
auch oral basierten Vorlage
ausgehend deren
milieuorientierte literarische Transfusion in Altnorwegen
befürworten, wäre
überdies zu diesem Punkt – vorbehaltlich einer
kritischen Betrachtung von Art
und Umfang (vgl. Endnote 2) – noch von einem
Assimilierungsansatz oder kleinstem
gemeinsamen Nenner mit Ritter-Schaumburg auszugehen. Selbst wenn man
hier zur partiellen
Zerstörung von Roswitha Wisniewskis These von einer schlichten
Kürzung
ausgehen wollte, dann bliebe aus mehr als nur einem Blickwinkel zu
ergründen, warum nun ausgerechnet an dieser Stelle der
altschwedische Chronist
eine Auslassung vorgenommen haben sollte! |
Hingegen ist der
längst nicht mehr zugkräftige Standpunkt,
dass die norwegischen Bearbeiter der Thidrekssaga deutlich mehr als
eine weitgehend
vorlagengetreue Übersetzungsarbeit aus einem niederdeutschen
Quellenmaterial
über die Zeit Dietrich von Bern geleistet
hätten,
keineswegs glaubwürdig zu untermauern – schon aufgrund
nicht versuchter
und nachweislich auch nicht vorliegender manipulatorischer Eingriffe an
dem nach Ritter-Schaumburg besondere Detailkenntnisse über
vor allem niederdeutsche Ortskunde beanspruchenden
Erzählungsraum. Ebenso wenig werden Heinrich Becks
lehrwissenschaftliche Ziehtöchter
und -söhne nicht glaubhaft darauf
abstellen können –
indem sie eine solche Konstruktion zur Ehrenrettung ihres zumindest
partiell
verfallsbestimmten
Gedankengutes zulassen oder bewusst zu tätigen versuchen –,
dass
norwegische Saga-Redaktoren um König
Hákon IV. dann eben
ortsfremde Erzählungsparts bei so unbekannten Fleckchen wie Vernica,
Thorta oder Thyra, an so nebensächlich klingenden
Gewässern wie Wisara oder Eydissa,
an so reputationslosen
Waldgebirgen wie etwa dem Valslanga
hätten einpflanzen wollen. |
In der vorherrschend irrigen
Vorstellung der Literaturwissenschaft
des 19. bis 21. Jahrhunderts, in den Handschriften der Thidrekssaga und
Dietrich-Chronik eine Sagengestalt für einen angeblichen
ostgotischen Theoderich erkennen zu müssen, kann und muss es sich
bei diesen folglich
nur drastisch
verzerrt begreifbaren Überlieferungen um nicht mehr als
„Sage und Dichtung“
handeln. Doch von eben diesem ehernen Postulat, soweit noch
gestützt vom schöngeistig verherrlichenden Bestand an
mittelalterlicher Dietrich-Epik,
können sich Germanistik und Nordistik des 21. Jahrhunderts
wohl auch in
absehbarer Zeit nicht lösen. Neben infantiler
enzyklopädischer Kritik an der pseudonymisch wie toponymisch
zulässigen Inanspruchnahme von „Svava“
– Ritter-Schaumburgs prägnanter
Logismus für seine Erstübersetzung der
„Didrikskrönikan“ durch
begriffliche Übernahme jener quelltextlich häufig
zitierten Region anstelle einer
Verschmelzung
von svensk für schwedisch
– zählt u.a. das Inabredestellen
potenziell verschollener Aufzeichnungen über
Vermittlungsinhalte der Thidrekssaga, für deren niederdeutsche
Traditionslinie Ritter-Schaumburg Oberbegriffe wie
„Urschrift“ oder „Urfassung“
verwendet. |
So bleibt zur
enzyklopädisch geäußerten
Vorstellung, Ritter-Schaumburg habe die Thidrekssaga gar zu einer
chronikalischen Überlieferung emporgehoben, noch der Hinweis,
dass längst vor ihm Roswitha
Wisniewski aus den Niflungen-Berichten deren
wesentlichen Quellentypus
mit einer anerkannten Habilitation aufgezeigt hat. Und auch dazu mag
die aktuelle
Lehrauffassung ihren hoch gepriesenen Strukturplan einer heldenepisch
amalgamierenden
Thidrekssaga in einen konform harmonierenden Kontext bringen. |
Das mediävalnordische
Schrifttum lässt erkennen, dass
historiografisches Importmaterial
unter undifferenziert gepflegtem Begriff „saga“
übertragen und kategorisiert
wurde. Auch demnach bleibt zu resümieren,
dass die Literaturwissenschaft nicht minder unkritisch den von
angeblichen
„Sagamännern“ vergebenen Titeltypus
für ein eingeführtes
niederdeutsches Geschichtsepos zu ihrem programmatischen Ideologem
erhoben hat.(8)
So die nach verständlicher Folgenabschätzung anscheinend
einzig verbleibende ephemere,
schon aus vorgenanntem Zusammenhang jedoch kaum haltbare Bastion zur
Abstützung altwissenschaftlicher Forschungsbibliografie.
Und damit also
jene Ritter-Schaumburg verfehlende Festschreibungen, dass z.B. die
volkssprachliche Sagenüberlieferung ihrem Wesen
nach den
Ansprüchen nicht zu genügen habe, die die
Geschichtsschreibung
an die Faktizität des Berichteten stellt.
Gemäß einer wahrlich
fabelhaften Saga-Interpretation, mit der von
Ermanarich
bis Odoaker reichende Gestalten in einen auf alt- und
neuwissenschaftlicher
Illusion basierenden
Auslegungsmechanismus gezerrt und anhand nicht nur ostgotischer
Vereinnahmungsstrategien weiter entstellt
werden dürfen.(9) |
Durch Hinwegsehen über
Vermittlungsstilistik aus dem Genre und Selbstverständnis
früh- bis hochmittelalterlicher
Geschichtsschreibung haben Vertreter dieser Fachrichtungen unter
anderem versucht, den historiografisch-chronistischen
Quellenwert der Thidrekssaga und altschwedischen Handschriften im
unbedingten Glauben an monokausale Zusammenhänge innerhalb unserer
großeuropäischen
Migrationsgeschichte zu supprimieren. Auch dazu
überwiegend verfehlend gegen
Ritter-Schaumburg und allgemeine literarhistoriografische
Wertmaßstäbe
erhobene Forderungen über handschriftlich punktgenaue
Realitätsspiegel
wird man anhand frühgeschichtlicher Berichterstattung von
Schreibern wie beispielsweise Jordanes, Saxo Grammaticus, Gregor von
Tours, dem
pseudonymischen Fredegar und selbst Prokop
jedoch eher dem Bereich von Unmöglichkeit als literatur- und
geschichtswissenschaftlichen
Grunderkenntnissen aus rund zweitausendjähriger
Ereignisübermittlung
zuschreiben müssen. Polemisierende Behauptungen, dass
Ritter-Schaumburg mit
nicht unberechtigten Folgerungen aus seinen toponymischen
Identifizierungen gar gesicherte literarhistorische
Erkenntnisse über die Sagen- und
Geschichtsüberlieferung germanischsprachiger Völker
ignoriere, scheitern nicht nur an der von ihm weitgehend
nachvollziehbar
detektierten geografischen wie auch migrationszeitlichen
Hauptorientierung
der Thidrekssaga, sondern auch an den keineswegs lückenlosen
Überlieferungen
über den gallorömisch späten und
frühfränkischen Zeitbereich. Ebenso kann nicht wegen
Singularität einer
im Kern völkergeschichtlichen Überlieferung diese unter
Hinweis auf somit unerfüllbare Forderungen nach koexistentem
Belegmaterial als historiografische
Quelle vorab ausgeklammert oder gar negiert werden –
übrigens ein fatales
Prozedere generell für Geschichtszeugnisse, die historische
Denkmäler solitär beitragen. |
Nicht nur Heinrich Beck hat
versucht, sich über Andreas
Heuslers elementares Trennungstheorem zwischen Heldendichtung und
Chronik hinwegzusetzen, und seine ihn abnickende Gefolgschaft vermag
längst nicht mehr mit ihrer eigenen disziplinärmethodischen
Zwiespältigkeit
glaubwürdig umzugehen. Offenbar möchte die massiv gegen
Ritter-Schaumburg
gerichtete Lehrauffassung sich zunehmens selbst glauben machen, dass
die Thidrekssaga als scheinbar volkssprachliche
Sagenüberlieferung nicht den Ansprüchen
einer mittelalterlich edierten und dabei im Wesentlichen die ausgehende
ostfränkisch-sächsisch-baltische Völkerwanderungszeit
reflektierende Geschichtsüberlieferung genügen darf.
Vielmehr lässt z.B. die
mit volkssprachlicher Tradition und tendenziöser Hagiografie
angereicherte Fränkische Geschichte
des Gregor von Tours erkennen, dass interpolativ und kompilativ
gestaltete Überlieferungen sich innerhalb
mediävalhistoriografischer Bandbreite bewegen dürfen.
Aus (s)einem Nebel
über salfränkische
Herkunftsverhältnisse berichtet der fränkische
Geschichtsschreiber u.a. mit einer äußerst
suspekten Vater-Sohn-Beziehung über den nach seiner
Meinung talentiertesten ostfränkischen König
Theuderich I., dessen Kindheit sowie Jugend- bis
Midlife-Aktivitäten uns der
glaubensmoralistische Geschichtsschreiber jedoch
auffälligerweise weitestgehend vorenthält.(10) |
Den Nachweis für die
lehrwissenschaftlich etablierte Behauptung,
die Thidrekssaga habe keinen Anspruch auf eine historische Vermittlung
über ein
bestimmtes raumzeitliches Kontinuum, werden Germanistik und Nordistik
jedoch nicht mit
einem Material erbringen können, aus dem selbst
ältere Rezeptionsepik
literarstemmatologisch unvollständig durchschaubare wie
interkontextuell verzerrende
Verhältnisse erkennen lässt. |
Die
Historizitätsforschung der Thidrekssaga stellt
gleichwohl höhere Anforderungen, als anhand eindeutig
fragmentarischer Überlieferungen von fränkischen Chronisten
z.B. in der Form gegen
Ritter-Schaumburg zu polemisieren, dass aus manchem Kontext zwar
berechtigt zu fordernde, uns jedoch erkennbar vorenthaltene
Geschichtszeugnisse – so über
eine nachrömische
Rheinfranken-Historie oder der wohl kaum einem irdischen Zeitsprung
unterworfenen Geschichte Triers („Roma II“) noch in der
Regierungszeit Chlodwigs I. und darüber hinaus – hinreichend
beweiskräftig
gegen die Thidrekssaga zu verwenden wären. Mangels
einer daraus jedoch nicht abzuleitenden Niederschlagung von
Ritter-Schaumburgs
Thesen haben seine Antagonisten nichtsdestoweniger
versucht, ein Argumentationsgerüst
gegen ihn
zu errichten, das unter Inanspruchnahme höchst umstrittener
Konstrukte
für eine kaum mehr als unmündige Leserklientel gar
als „Widersprüche zu bekannten
historischen Fakten“ deklariert wurde.Ref
3 |
Was Ritter-Schaumburg abseits derartiger Verfehlungen
seiner Kritiker auch
nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, ist Unvollständigkeit
migrationszeitlicher Geschichtsschreibung, sind Reimepik
protegierende Wertungshorizonte für Überlieferungen
mediävalchronistischer und historiografischer Quellengattung, ist
in
weitem und engerem Kontext das Hinwegsehen über ignorierendes und
tendenziöses Überlieferungsmaterial vor allem aus
frühfränkischen
Federkielen. |
Noch vor diesem Hintergrund treffen wir auf
deplatzierter
Präjudizierung oder verunsachlichender Destruktion basierende
Behauptungen, dass die Bestimmbarkeit und somit die
Glaubwürdigkeit
mittelalterlicher Namenüberlieferungen (mit augenscheinlich
erheblichem
Gefährdungspotenzial für alttraditionelle
Ortsvorstellungen) aus der
Topik chronikalischer oder historiografischer Berichte ausgeklammert
werden
müsse. Selbst anhand der Edierungsverhältnisse der
Thidrekssaga und handlungsstrategisch stichhaltiger Relationen
im Ortsgerüst von Ritter-Schaumburg erscheint solche Argumentation
als
unausgegorene und
gemäß erzählungsinhaltlicher
Gesamtveranlagung nicht glaubhaft
vertretbare Pauschalisierung gegen ein
scheinbar überwiegend fabulierendes Werk, deren geografisch
schlüssiges Substrat somit leicht ins Abseits geschoben werden
kann. Auch wegen
implizierter zerstörerischer
Konsequenzen zum einen für linguistische Grundwerte wie zum
anderen und vor allem für anerkannte und
anerkennungsfähige
migationszeitliche Geschichtszeugnisse gleichen solche Einlassungen
einem kontraproduktiven Rundumschlag, bei dem nicht zuletzt
eine gestandene Germanistin wie Roswitha Wisniewski nebst ihrem
Wedinghausener Scriptor zu Boden gehen
dürfte.
Und so fehlt nicht wenigen Sprach- und Geschichtswissenschaftlern
ein Verständnis für jene unfundiert zementierte “Too good to
be true“-Apodikte zu den Raum- und
Zeitbereichen von Childerich bis Theuderich I., die in
der Klimax ihrer sprachliterarischen
Errungenschaften die Übertragbarkeit
quelltextlicher Toponyme
wie Vernica, Verniza oder Vermin(t)za, Vermista
auf heutige Ortsnamen wie
Vernich, Virnich oder Virmenich (jetzt Firmenich) scheinbar definitiv
in Abrede stellen wollen.(11) |
Ohne einen chronistischen Gegenbeweis erhobene Forderungen nach
einer „verlässlichen Zweitquelle“ – z.B. über die von
unseren
fränkischen Geschichts- und Geschichtenschreibern nicht
überlieferten Berichte über eine wirtschaftlich wie politisch
signifikant
besiedelte Rhein-Eifelregion, über eine Moselmetropole Roma II
im vorgenannten wie augenscheinlich von ihnen übergangenen
Zeitraum, über einen dort nicht auszuschließenden
König Ermenrik
oder einen Gunnar in der Voreifel – können den von
Ritter-Schaumburg
angeregten Historizitätswert der Thidrekssaga nicht
in Frage stellen.(12) Dagegen beruht
die
vorherrschende Auffassung der Germanistik und
Nordistik über deren „(sagen)geschichtliche Authentizität“
unter
anderem auf
wissenschaftlich unhaltbarem Vorgehen, z.B. die
archäologisch-historische Wahrscheinlichkeit und kontextuelle
Relevanz eines um die
Mitte des ersten Jahrtausends im Einzugsbereich eines niederdeutschen Susat
ausgetragenen
Kampfes gegen raumevident
vorrückende Franken mit einer gar „translozierenden“ bzw.
unglaubwürdigen Heldensage
zu identifizieren. Mit einem Etzel, der nie gelebt hat. Mit Burgunden
oder
waltharischen Franken, die
niemals in seinen
Gefilden zugrunde gingen. Mit archaischer Apodeixis, dass es nur einen
hunnischen
„Attila“, doch neben und nach ihm keinen hunischen Synonymus
gegeben haben
darf. |
Der literarspezifische Stellenwert der Thidrekssaga wird, wie bereits
altphilologisch erwogen und von Ritter-Schaumburg
schließlich weiter hervorgehoben, von ihren
spätmittelalterlichen Überlieferungen verdeutlicht, deren
„kürzende altschwedische Chronisten“ z.T. mit deutschen
Namenformen angleichen.(13)
|
Die Thidrekssaga wurde von der Lehrauffassung als eine eher
fabulöse als historisch glaubwürdige Überlieferung
eingestuft, weil unter anderem – neben einem nichtinvasiven
Burgundermythos (…) – der
italienische
König Theoderich der Große bekanntlich niemals ein
Zeitgenosse des südosteuropäischen Hunnenführers Attila
gewesen sein konnte. Neben weiteren Interpretationskriterien wird auch
dieser Folgerungsansatz als eine keineswegs hinreichende wie
offensichtlich monokausal gerichtete
Wertungshaltung von der Karl Simrock und Ritter-Schaumburg
aufgreifenden
Historizitätsforschung zurückgewiesen. In dazu
argumentierender Konsequenz wurde von Seiten einer anmaßenden
fachwissenschaftlichen Textkritik jedoch nirgends ein Gegenbeweis
für den keineswegs auszuschließenden historischen
Sachverhalt vorgelegt, dass vielmehr der chronikalische Texttypus der
Thidrekssaga (vgl. z.B. Mb 394)
den vom
Nibelungenlied suggerierten ostgotisch-hunnischen Handlungsraum der
Niflungen zurück in den originären
mittelniederrheinischen Raum zwischen Vernica
und dem westfälischen Soest verlegt.
Mittels seriöser Textforschung kann den altwestnordischen und
altschwedischen Handschriften eine Sagengestalt
über einen angeblichen „ostgotischen Theoderich“ nicht
abverlangt
werden. Unter
Inanspruchnahme von Illusionen oberdeutscher Poeten hat dagegen nicht
nur Heinrich Beck versucht, Ritter-Schaumburgs primäre
Erkenntnisse mit der Perspektive eines naiven Lesers zu
destabilisieren. Weder er noch eine kognitionsresistente
WP-Artikelgestaltung – vgl. „Dietrich
von Bern“ mit nicht haltbarer Milieuzuweisung
für die Gestalt des Thidrek
– haben eine plausible Begründung zu dem nicht
etablierfähigen Konstrukt geliefert, dass z.B. die
Geographie des niederdeutschen
Gebiets den Norwegern und hansischen Kaufleuten,
die den Norwegern die Dietrichsage vermittelten, viel vertrauter war
als das „südwestdeutsche Gebiet“,
aus der diese „Sage ursprünglich stammte“ [WP
2013; Hervorhebungen v. Verf.]. Und
wenn noch dazu aus dem ethnologischen Toponym der quelltextlichen Amelungen
fehldisponiert und zum Überlieferungskontext der Handschriften
schließlich behauptet wird, dass diese in Gestalt der „Amaler“
als genealogische Stammformel für den ostgotischen Theoderich
gelten sollen, so
bieten weder die Thidrekssaga noch die
altschwedische Überlieferung an irgendeiner Stelle eine faktische
Grundlage zur Gleichsetzung eines
völkisch-geografischen Terminus'
mit einem familiengenealogischen Begriff oberitalienischer
Provenienz. |
Die ethnologischen
und geografischen Angaben der Thidrekssaga, wonach sich deren
Titelgestalt auf einen großväterlichen Vorfahren aus
vielmehr salischem Gebiet berufen darf – dem auch die
historische Frankendynastie mit einem ihrer
Sprösslinge ein gleichlautendes Denkmal mit biblischer
Namengebung setzte –,
sprechen hier und
wiederum für zwei ebenso deutlich zu unterscheidende
Großherrscher. Die plausiblen geostrategischen
Interaktionsbezüge der Thidrekssaga widersprechen
überdies jener kurzsichtig ausgeklügelten
Interpretationsstrategie, die sich nebst unkritisch aufgefasstem
Rabenschlacht-Rezeptionskontext – nur ein (Gegen-)
Beispiel
zu
vorherrschend romanischen Zerrbildfixierungen aus lehrwissenschaftlich
postulierten Rezeptionshierarchien – u.a. auf realhistorisch
scheiternde ostgotische Transformationen zum Glaubenmachen
einer hauptsächlich vermittelten Pseudogeschichtlichkeit
bezieht. |
Und so ist auch das
Überlieferungsmotiv von jenem imposanten Ross, dessen goldene
Statue Karl der Große aus Theoderichs Ravenna nach AQUAE
GRANNI
beordert haben soll, mit einem hier nicht minder
raumoriginären wie textendlich
dämonisch-hippophil profilierten rheinfränkischen
Thidrek vereinbar. Nach den
von Gregor v. Tours hervorgehobenen Charakterzügen
ostfränkischer Könige
vor allem mit dem ersten austrasischen Theuderich, dem
überlieferungsgemäß nur wenige Jahre vor dessen Ende
eine
hochgeistlich mahnende Stimme nicht zu Unrecht ins
Gewissen geredet haben mag, vgl. Endnote 13 im
Netzbeitrag [iv]. |
Wenn manche Auffassung über die
Thidrekssaga und altschwedische
„Dietrich-Chronik“ zu der Erkenntnis gelangt, dass gerade die
Herstellung
stimmiger Versionen aber von der Forschung allgemein als
Charakteristikum
sekundärer Bearbeitung angegeben wird, so bedarf
dieser Pauschalschluss
im Besonderen einer Erweiterung, die über die inhaltlichen
Unterschiede zwischen
der Thidrekssaga und altschwedischen Überlieferung hinausgeht.
Richtig
ist, dass
sich diese Manuskripte gemeinsam auf ein Quellenmaterial beziehen, aus
dem dezidierte
lokalgeografische Detailkenntnisse zu rheinfränkischen und
weitläufig ostrheinischen Darstellungen
übereinstimmend hervorgehen.
Richtig ist aber auch, dass nach der jüngeren altschwedischen
Überlieferung
z.B. Heimes schwarze Kutte als eine anderenorts
edierte und somit
„sekundäre Anpassung“ bereits voreilig zu
oder von altnorwegischen Verhältnissen
gefolgert werden könnte.(14)
Allerdings wird man ohne plausible Nachweise und vor allem für
fragwürdige Forschungsinteressen an erheblich verzerrender
sekundärer
Bearbeitung – etwa vor dem Hintergrund der historischen
Frankenexpansion des 6. Jhs.
(hier also auch zu den Niflungen-Berichten) –
pseudochronikalische Verfassermotivation nach und zur
hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung nicht belegen
können. Daneben und hinsichtlich einer z.T. massiv vorgebrachten
Kritik an
Ritter-Schaumburg darf längst nicht ausgeschlossen werden, dass
hochmittelalterliche Historiografie aus ihrem Reservoir
narratologischer Formungsmittel ihren Rezipienten auch
postmodernistisch geprägte
Erzählungselemente zur Präsentation älterer Geschichte
zumuten wollte und konnte.
|
Nicht wenige sachthematisch
orientierte Beobachter haben längst verstanden,
dass Germanistik und Nordistik aus dem Fall Thidrekssaga bislang als
Beklagte und
Richterinnen hervorgegangen sind. Und solange ihnen bereitwillige
Historiker mehrheitlich
am Rockzipfel hängen, werden sie auch und vor allem seit
Ritter-Schaumburg
weiterhin versuchen, beiden Positionen mit krampfhaft gestanzten
Deutungsschablonen
zu dienen, die mit schier unerschöpflich erscheinender
mediävalbibliografischer
Intertextualität, unkritisch ausgelegter mittelalterlicher
Dietrich-Theoderich-Verschmelzung und daraus nicht minder
fragwürdigen
forschungsideologischen Kombinations-, Interpretations- und
Deduktionszwängen
bis zur pseudochronistisch-dichterischen Abstempelung einer
im Mindesten historiografischen
Herrschervita reichen müssen. Doch immerhin erklären
sich dadurch jene aktuell
unglaubwürdig zementierten Verortungen zu einer
Überlieferung, die solcher
Strategie folgend offenbar keinerlei Anspruch auf einen zumindest
potenziellen historischen Quellenwert erheben darf.(15)
In dazu programmatischer Ausrichtung lässt selbst jener
enzyklopädischer Irrläufer, dass Ritter-Schaumburg ein
stark
konstruiertes Bild
der germanischen
Frühgeschichte im Niederrheingebiet
zeichnet,
zur Überlieferungssituation über das 5. und 6.
Jahrhundert ein Mindestmaß
an quellenkritischer Objektivität vermissen [WP
am 23.08.2010].
Vielmehr hat Ritter-Schaumburg sehr wohl nachvollziehbar dargelegt,
dass aus der Thidrekssaga weder ein
verbindlicher noch verbindender
ostgotisch-romanischer Topos herauszulesen ist.
Zum literartypologisch vertretbaren Rezeptionskontext übrigens
auch nicht unter Hinweis
auf das historische Gestaltenmuster zu einer Sprossfabel verarbeitende
Hildebrandslied, um es dem
naiven Leser als einen exemplarischen Kronzeugen für eine
pseudogeschichtlich
darstellende jüngere Thidrekssaga schmackhaft zu machen.(16) |
Die überlieferungskritische Literatur-
und Geschichtsforschung kann und wird sich nicht dafür hergeben,
ostgotische Milieuverhältnisse anhand von
zwei oder drei altwestnordischen Zuschreibungsirrläufern – sofern
davon überhaupt Rede und Schlussfolgerung nach
altwestnordischer Textauffassung sein kann –
für die Titelgestalt der Thidrekssaga festzuschreiben.(17)
Mit Darstellungen jener Fachwissenschaftler, die selbst mit einem
Bonn-Verona ungleich
Dietrichs
Bern
eine kaum mehr als unbelesene Leserschicht überzeugen können.
Mit Einstellungen auch anderenorts publizierender Tabuwächter,
die von fränkischen und ostgotischen Federkielen angezeigte
Überlieferungsdefizite über das 5. und 6.
Jahrhundert einfach nicht wahr haben wollen. Mit Auffassungen, die sich
über Untiefen, Selbstverständnis und Ignoranz
spätantiker
und mittelalterlicher Geschichtsschreibung hinwegsetzen. Mit
anmaßendem Konspekt über migrationsethnologische
Vorgänge in und
nach dem Zusammenbruch weströmischer Territorialherrschaft. Und
nicht
zuletzt mit Begründung verschmähender Kommentar-Rezensur
zur Nibelungenbibliografie, die an Ritter-Schaumburg angelehnte
„z.T. nicht nachvollziehbare“ Stoffkreisbetrachtungen
in einen kaum mehr als spitzfindig simplifizierenden
Kontext von „Buntheit“ und
„Konglomerat“ stellt.(18) |
Die Titelgestalt der Thidrekssaga betreffend hat die gegenwärtige
Lehrauffassung für einen angeblichen „ostgotischen König
Theoderich“ weder hinreichende historische noch überzeugende
heldenepische oder gar translozierend verbindliche Kontextmerkmale
vorgelegt. Durch systematisches Ignorieren der
historiografisch-chronistischen Quellenidentität
der Thidrekssaga und altschwedischen Textzeugnisse
– nach den Vorleistungen von R.
Wisniewski und vor allem H. Ritter-Schaumburg wider vorläufige und
keineswegs zu übergehende Erkenntniswerte – sollen wohl vielmehr
die Bedürfnisse der von Heinrich Beck und anderen Forschern
bedienten
Leserklientel werden.(19) |
——————————————————
——————————————————
Endnoten |
|
1 Im
Gesamtzusammenhang mit der Bandbreite mediävalchronistischer
Überlieferungen liegt kein
anerkennungsfähiger Nachweis für die
Behauptung oder Annahme vor, das Quellenmaterial der
Thidrekssaga basiere nach ihren
gestaltungstypologischen Darstellungen auf überwiegend
unauthentischen historischen Vorgängen und daher – anhand »geschichtsfaktischer
Erkenntnisse« – generell abzulehnenden figurgenerischen
Kontexten. |
|
Vielmehr hat die unvoreingenommene
wissenschaftliche Textforschung, darunter eine germanistische
Habilitationsarbeit am Beispiel der Niflungasaga,
zu den machtpolitisch orientierten Kernerzählungen den
dominierenden
chronistischen Quellentypus der
altwestnordischen Handschriften aufgezeigt.
Für lehrwissenschaftliche „Erkenntnisse“, daran
geknüpfte Festschreibungen wie auch durch
intertextuelle Vergleiche konstruierte Mutmaßungen, die
Autorenschaft
der Thidrekssaga habe für deren Kernerzählungen mit
genealogischen sowie anderen dazu komplementär entwickelten
narrativen Expositionen verschiedene, überwiegend fabulierende
bzw. ereignisgeschichtlich nicht oder kaum authentisch
zusammenhängende
Überlieferungen zu einem raumzeithistorisch unglaubwürdigen
Großwerk montiert, findet sich anhand von
geschichtswissenschaftlich erschlossenen Zusammenhängen aus
mediävaler Historiografie und Chronistik über
migrationszeitliche Vorgänge nirgends ein
seriöser forschungsbibliografischer Nachweis. Auch
von diesem Zusammenhang abgesehen wird man in Kontraposition zu
Roswitha Wisniewskis textkritischen Analysen der Niflungen-Partien
der Thidrekssaga nicht plausibel machen können, dass für
deren inhärent verschriftlichte chronistische
Quellensubstanz vielmehr mündliche Überlieferungen den
vorrangigen bzw. unmittelbaren Vermittlungstypus repräsentieren. |
Die
mit dem Verfasser des inhaltlich umstrittenen „Saga-Prologs“
nicht gleichzusetzenden Schreiber/Übersetzer der
ältesten Festlandhandschrift lassen nach
edierungschronologischen
Kriterien allerdings kaum einen Zweifel an verschiedenen für
einen Vergleich mit ihrem
Epos
vorliegenden oralen Traditionen. Vielmehr liefern diese
Scriptoren vor allem zu
den Kriegsberichten, darunter Dietrichs Gransport-Unternehmen,
die Ostlandzüge und der Niflungen-Untergang,
chronistische Zeugnis- und Zeugendimensionen. Daneben folge manche
Darstellung, so
der vergleichende Redaktor der Thidrekssaga, meist dem, wie alte
Lieder in
deutscher Zunge sagen …
Nach Mb 348 (Kapitelpartition nach Unger) noch in einer
Futurform zu Sigurd/Sigfrid, dessen Name nimmer
vergessen wird in deutscher Zunge und desgleichen bei
den Nordmannen. Wenn beispielsweise der Schreiber von Mb 320 seine
Vorlage
mit einer Überlieferung
parallelisieren darf, deren auch anderenorts bekannte Tradition
unter
Berücksichtigung verschollener Quellen nicht negiert werden
kann, er dann
später König Isungs Fall auf
dessen Gegnerin Osta(n)cia
zurückführt – i
kvæðom þyðærskom
–
(vgl. auch Mb 352), so muss ihm seine Darstellung nicht unbedingt von
einem
in
seine Schreibstube
beorderten ostelbischen Saga- oder Spielmann erstmalig vorgetragen
worden sein. |
Insoweit
können diese von den Scriptoren erwähnten
Traditionsstränge
nicht zum einzigsten bzw.
unmittelbar originären Vorlagenmaterial der Thidrekssaga
automatisiert werden. Zur Transmission ihrer
Handschriften ist auch demnach längst nicht die Wahrscheinlichkeit
oder Möglichkeit zu ignorieren, dass diese
Quellenhinweise zu einer mittelniederdeutschen bzw. in
Wedinghausen geschriebenen
Großvorlage gehört haben könnten.
So beachte man auch den Hinweis auf Heimes Kampf gegen Aspilan
zu Wadhincúsan
– segia Þyðersk
kvæði. |
In
bzw. zu den altschwedischen
Überlieferungen sucht man vergeblich eine
Entsprechung des
zu den isländischen
Handschriften gerechneten „Saga-Prologs“.
Vielmehr konstatiert der
altschwedische
Chronist zu seiner Fassung des Niflungen-Berichts: Hierüber
sind mehrere Bücher geschrieben und
fassen alles zusammen.
(Übs. Ritter-Schaumburg.)
|
Ref 1
Am 6.2.2010 zum Di-Lemma http://de.wikipedia.org/wiki/Thidrekssaga_als_historische_Quelle
[nicht
verlinkt]
die
Seite(n)
http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Thidrekssaga_als_historische_Quelle
[nicht
verlinkt]
am 13.03.10
wiederhergestellt unter
http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Heinz_Ritter-Schaumburg/Thidrekssaga_als_historische_Quelle
sowie
http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:L%C3%B6schkandidaten/6._Februar_2010
[beide
nicht verlinkt]. |
|
Diese WP-Seiten haben mit Klartextreden
oder konstruktiver Härte nichts zu tun. Hier sorgt vielmehr eine
Clique unverbesserlicher Philologen in kaum mehr als polemischer
Gereiztheit und Renitenz für ein Schmierentheater in einem
Informationsmedium,
das wegen unzähliger fachwissenschaftlich kompetenter
Beiträge eine derartige Aufführung nicht nötig haben
sollte. Nichtsdestoweniger wird der Vielleicht
überforderte Hauptbearbeiter des inzwischen gelöschten
(Di-)Lemmas die Titelgestalt der Thidrekssaga wohl kaum mit einem
überregional hinauswachsenden „Bonner Kleinkönig“ der
Völkerwanderungszeit historisieren können. Auch der
eindeutig überwiegende Teil der geschichtswissenschaftlichen
Forschung folgt nicht dieser von Ritter-Schaumburg zunächst
angeregten Interpretationsvorstellung, die er aber zuletzt mit
implizierter frühmerowingischer Entwicklungsgeschichte (und somit
deren zwangsläufig relevanter Genealogie) um die Zeit und
Herrschergestalt Chlodwigs I. durchaus revidiert hat: |
|
Die Gestalt aber, welche vor allem
geschichtlich eingeordnet werden müßte, ist König
Ermenrik in Rom/Trier. Er herrscht hier nach der Ths ohne Unterbrechung
mehr als 50 Jahre. Dies ist aber auch die Zeit Chlodwigs, welche wir
leidlich gut zu kennen meinen […] Man kann auch fragen, ob sich unter
dem Namen »Ermenrik« etwa eine andere geschichtliche
Persönlichkeit verbirgt, und man wird die Ähnlichkeit
bemerken, wie Ermenrik alle seine männlichen Verwandten umbringt
und wie ganz entsprechend Chlodwig das gleiche tut. Aber hier kann auch
einer den andern nachgeahmt haben. Die Hauptquelle über jene Zeit,
von ihr aber zeitlich schon weit entfernt, ist Gregor von Tours. Er ist
ganz westfränkisch eingestellt. Den mittleren Bereich bis an den
Rhein heran scheint er nur wie durch einen Nebel zu sehen, mit
einzelnen Erhellungen. (Dietrich von Bern, 1982, S.
285–286.)
|
2 Obwohl
Forschung und Lehre
nicht den Nachweis erbracht haben – und nach
Ritter-Schaumburgs Lokalisationen sowie
der literarspezifischen Quellen- und Darstellungsveranlagung von
Thidrekssaga und
altschwedischer „Dietrich-Chronik“ diesen auch niemals erbringen
können –,
dass beide Überlieferungen gar einem ostgotischen Raumzeitgenre
von insoweit
fabulierender Heldenepik entsprechen, werden ihre Vermittlungen wider
besseres Wissen,
ohne überzeugenden Rückhalt und daher allenfalls zur
Absegnung eines
altphilologisch verwurzelten Bedarfs an unhistorisch
künstlicher Heldenvereinigung
einem vorherrschend dichterisch-heldenepischen Sagenmilieu
zugeschrieben. |
Unter Auslassung der mit
erzähltypologischen
Charakteristika wie auch motivischen Sinngebungen m.E. nur wenig
korrespondierenden
eddischen Heldenliedern (und somit wesentlich auch der Vǫlsungasaga)
lässt sich für die Thidrekssaga
hinsichtlich Rezeption und Kompilation aus den
altwestnordischen
Handschriftenbeständen feststellen, dass nach
textkritischen Untersuchungen der Bibliografie unter
Hákon
IV. und seinem wohl ersten maßgeblichen Schriftführer Friar
Robert
vor allem auf eine rezeptionelle Abhängigkeit der
Thidrekssaga von der Tristams saga hingewiesen wird. Hiervon
betroffen
erscheinen offenbar Jarl Irons Beziehungen zur Jagd, seiner Frau und
seiner
Geliebten, die Erzählungscharakteristika aus Herburt
und Hilde im
arthurianischen Milieu (darunter dessen verunglimpfendes Dietrich-Bild)
und
Weland (Figurenbildnis, Truchsess-Erzählung). Allerdings wird
man die täuschend echt modellierte
Statue von
Welands Werkzeugdieb nicht minder für eine unmittelbare
Rezeption aus der
antiken Apelles-Episode des Plinius aus seiner Naturalis
Historia (35, 10) nahe legen können, die
mutmaßlich Thomas „de Bretagne“ für seinen Tristan
adaptiert
haben soll. Zwar ließe sich einerseits zunächst
unterstellen, dass
der im Jahr 1226 mit der Übertragung
der Tristams saga ok Ísöndar beauftragte Robert aus
der
vollständigen Fassung von Thomas die salle-aux-images-Erzählung
übernommen hat, jedoch bestehen daneben aber auch
edierungschronologische
Vorbehalte gegenüber dem rezeptionellen Abhängigkeitskomplex
des
Quellenmaterials der
Thidrekssaga als ein importiertes Wedinghausener Großwerk.
|
Trotz
der relativ frühen Verfügbarkeit
eines offensichtlich anglo-normannischen Tristanmaterials für das
aufnehmende
norwegische Schrifttum
des 13. Jhs. kann eine kontinentale und bis nach Niederdeutschland
reichende Transmission
solcher
szenisch-motivischer Anreicherungen für die Kerninhalte
Thidrekssaga
also keineswegs ausgeschlossen werden – zumal zu ihrer
ältesten greifbaren
Handschrift bereits Hermann Reichert deren verschollene
Großvorlage zur Disposition gestellt hat.
Gegen ein nicht überzeugend vertretenes Forschungsinteresse an
überwiegend altwestnordischer Großwerkgestaltung samt
rezeptionell
postulierter Motivverarbeitung spricht insbesondere unsere definitiv
unvollständige Übersicht über hochmittelalterliche
Literaturverfügbarkeit – trotz jener Argumentationen,
die ein mittelniederdeutsches Wissen vom Tristanstoff aufgrund
darüber
nicht verfügbarer Quellen entschieden zurückweisen oder als
kaum wahrscheinlich statuieren. |
Da sich die älteste
Datierung
der
vorzugsweise neben die Thidrekssaga gestellten Karlamagnús
saga
auf das nur Teile der VIII. Branche liefernde Fragment Fr 1 [NRA61]
bezieht
und mit ihrem unvollständigen Roncevaux-Bericht wohl
noch dem 13.
Jh. entstammt (Kramarz-Bein 2002), müssen
sämtliche
strukturanalytische Textuntersuchungen, die eine inhaltliche
Abhängigkeit
der Thidrekssaga von dem weniger homogenen Epos über Karl
den Großen unterschieben wollen, in den Bereich reiner
Spekulation
verwiesen werden. |
Des
Weiteren fehlen chronologische
Sicherheiten zur Handschriften-Datierung, die den Codex De la
Gardie 4–7 fol. zu
thematisch-motivischen Aspekten
in den Vorlagenbestand der ältesten verfügbaren
Thidrekssaga-Editionsstufe Perg. Fol. nr 4.
einbinden lassen. So ließe sich z.B. nach heraldischen
Textkriterien bereits auf
eine Leitfunktion dieser Festlandhandschrift, zumindest jedoch ihrer
Vorstufe
schließen. Auch die auf „Þyðeskum
kveðum”
zurückführbare Tiernamenbeziehung Piron
(Elis saga ok Rósamundu) zu Paron
(Jarl Irons Jagdhund, vgl. A/B-Hs.) dürfte mit einem in
niederdeutscher Tradition fest verankerten Jarl
Íron eher diese Ausgangslage untermauern. |
Anhand
des Tristan-Stoffs vermerkt Kramarz-Bein
zum Metier des bróðir Robert: |
Roberts
altwestnordische Adaptation des Thomas-Textes
gibt ein Muster für den Übersetzungsstil der
nachfolgenden übersetzten Riddarasögur ab;
Kürzungen gegenüber
der Quelle sind weitgehend für alle altnorwegischen
höfischen
Übersetzungen charakteristisch: poetische Beschreibungen,
langatmige
psychologisierende Reflexionen (u.a. über die Liebe),
längere
Dialoge oder Monologe, Charakter- oder Gefühlsanalysen sowie
Moralisierungen,
wie sie in diesem Fall Thomas’ Vorlage bietet, werden z.T.
erheblich
gekürzt. |
Dennoch wird sich dieser Robert
bzw. dessen Schreibschule im vermittlerischen (und eher
nicht
signifikant verfälschenden) Interesse von importiertem
Literaturgut
kaum weit von seiner Vorlage entfernt haben, wenn es bei Kramarz-Bein
weiter
heißt: |
In
einigen Fällen hat Robert
gegenüber seiner Vorlage zudem auch strukturelle
Änderungen in
der Darstellung einzelner Episoden vorgenommen‚ dies u.a. in
der berühmten
Figurengrotten- bzw. Bilderhallen-Episode (salle aux images),
wenn
er – im Vergleich zu Thomas – die stellvertretende
Bestrafung der Figur
des bösen Zwergs mehr in den Vordergrund rückt oder
wenn er einerseits
die Beschreibung der Minnetrank-Episode erheblich kürzt,
andererseits
aber (die für das nordische Publikum möglicherweise
interessantere)
Beschreibung des Drachenkampfes ausführlicher ausfallen
läßt. |
Joseph Bédier hat Hákons
Schriftleiter einen unübersehbaren Mangel an poetischer
Umsetzungsfähigkeit bescheinigt. |
|
Es kann daher keineswegs
die
fachwissenschaftlich vertretene Unterstellung abgesichert werden, die
oben
beispielhaft angeführten Überlieferungen –
in edierungschronologischer
Hinsicht vor allem die Karlamagnús saga
und Elis saga
– hätten in der Thidrekssaga bzw. deren
ältester Verschriftlichung
nennenswert rezeptionelle oder gar „referentielle“
Spuren hinterlassen. Zu weiteren
Gegenüberstellungen der Thidrekssaga mit heldenepischen und
realgeschichtlich scheinbar
wenig verifizierbaren Überlieferungen bleibt festzustellen,
dass vor allem
unter Heinrich Becks Regie aus programmatischen Beweggründen
bewusst vermieden wurde, die Thidrekssaga in einen für ihre
Textzeugnisse
relevanten Forschungskomplex von importierten Großwerken und
Historiografien
zu stellen. |
Darüber hinaus kann es
glaubwürdiger
Forschung nicht gelingen, anhand des übersetzerischen und bis
in den
schematisiert idiomatischen Gebrauch reichenden Vorzugsvokabulars der
mutmaßlich von Robert geprägten Schreibschule einen
Grenzverlauf zwischen
historiografischen und romanhaft epischen bis märchenhaften
Überlieferungen zu ziehen. Des Weiteren kann eine aus
unterschiedlichen
Textzeugnissen identisch hervorgehende Zahl von Gefolgsleuten einer
Führungskraft, so das von antiquarischen Geschichtsberichten
bis in den
gegenwärtigen Gebrauch reichende Dutzend (»die Zwölf
Weggefährten des Columban, die Zwölf Geschworenen«),
nicht zur unkritischen stemmatologischen
Angleichung
verschiedener Quellengattungen in Anspruch genommen werden.
|
3 Kurzfassend
wird
auf die hier und anderenorts noch zu nennende Skandinavistik
verzichtet. |
|
Die Überlieferungshistorie der
Handschriften betreffend erwähnt übrigens Friedrich H. von
der Hagen in der
Vorrede zu seiner deutschsprachigen Ausgabe der Thidrekssaga die
offenbar nur Peringskiöld zugängliche oder durch ihn
verfügte lateinische Handschrift, in der die Aussagen der darin
nicht enthaltenen wörtlichen Reden im fließenden Text zu
finden sind. |
|
Die Bezeichnung Dietrich-Chronik
für die altschwedischen
Handschriften basiert auf altphilologischer Wertung (G. O.
Hyltén-Cavallius, H. Bertelsen), die u.a. von B. Henning und H.
Ritter-Schaumburg übernommen wurde.
|
4 Zum
Vorlagentypus einer chronistischen und insoweit offenbar aus Westfalen
stammenden Überlieferung argumentiert Pfaff (S. 951
a.a.O.):
|
|
I should agree that a
Latin chronicle played a role in the transmission of much
of the material in the Thidreks saga. In support of this thesis
one might add that some
names from sequences unrelated to the fall of the Nibelungs exhibit the
peculiarities and variation which were attributed to faulty use of
Latin orthographic symbols: for instance, Ruzcia-land and Villcina-land,
although in the latter the variants with c, t, z and k are
further confused by the possibility that two Slavic words, one with a t,
one with a k phoneme, are involved. If these errors are
traceable to the same Latin chronicle, a compilation embracing more
than the fall of the Nibelungen
was assembled in northern Germany in chronicle form. |
|
Insoweit stimmt Pfaff einer über
weite Überlieferungsteile laufenden chronistischen Quellengattung
zu. |
|
Zu der
quellenkritisch vorgebrachten Rechtfertigung („defense“) in der
Untersuchung von Roswitha Wisniewski, dass der Niflungenuntergang in
der Thidrekssaga vielmehr von einer zu Soest bzw. in Wedinghausen
entstandenen Zweiten Quelle dominiert wird, gibt er zu den
Ausführungen der Autorin die Merkmale chronistischer
Darstellungsformen nochmals zu bedenken (S. 950 a.a.O.): |
|
The defense widens into an excellent
description of the versions of heroic legend in chronicles: these
versions share a preference for certain political and social ideals,
for similar courtly settings, for established manners and forms of
address; they are interested in genealogy; they feel impelled to cite
authority, usually in the form used in official, government papers;
they carefully avoid the extended dramatic dialogue favored in the
poetry. After investigating parallel prose and verse versions of
episodes in other cycles of heroic material produced in France and
elsewhere, the author concludes that these chronicles constitute an
international genre. Indeed she finds chroniclers borrowing details
from other chroniclers in order to give both prestige and mysterious,
supernatural associations to the rulers they describe; it is suggested
that the demonic origin and character of Högni may owe much to
chronical accounts of Alexander. She goes on to conclude that the
chronicle was in Latin because the peculiar forms of several place
names and personal names in Thidreks saga — for example, Susat,
Wer[n]iza, Attila, Sigfroeðr and
Gernoz — can be explained as
misunderstandings of the irregular orthography employed in medieval
Latin chronicles. She believes, finally, that this Latin chronicle,
"the second source," was written at Wedinghausen monastery, some twenty
miles south of Soest, and argues that the episode concerning Heimir’s
association with the monks at Wadincusan reveals knowledge of events
and personnel at the monastery that only a member would be likely to
have, and that the proximity of Soest explains the saga’s detailed
knowledge of the town.
|
5 Dazu mehr im
Verfasserbeitrag unter [v].
Ritter-Schaumburgs Fußnote 119 in Dietrich von Bern,
1982, S. 303: |
Das
Kloster Vadincusan ist immer mit einem
westfälischen Kloster ähnlichen Namens gleichgesetzt
worden. So
schreibt Holthausen (Anm. 63) S. 490 f.: |
|
»In Westfalen
liegt
auch, wie
schon
Raszmann II, XI sah, das kloster Vadincusan (c. 434), wohin sich Heim
zurückzieht,
um Mönch zu werden … Es ist das
Prämonstratenserkloster Wedinghausen,
in älterer Form Wedinchusen, bei Arnsberg an der Ruhr in
Westfalen,
um das Jahr 1170 vom grafen Heinrich von Arnsberg gestiftet.« |
Diese Deutung ist stets
wiederholt worden; und solange
man die Angaben der Ths für unsinnig hielt, mochte es
hingehen. Wenn
aber das »Rom« der Ths Trier ist, dann
müssen sich die
Begebenheiten um das Kloster Wadincusan in der Trierer Gegend
zugetragen
haben, aus welcher Heim nie mehr herausgekommen ist. Hier gibt es nun
ebenfalls
ein Kloster ähnlichen Namens, nämlich Wadingozzan,
heute Wadgassen
an der Saar. Auch Wadgassen war Prämonstratenser-Abtei. Die
Franken
begründeten in Wadgassen einen Königshof, 902
»Villa Vadegozzinga«.
Die Abtei entstand als Familiengründung des
Saarbrücker Grafengeschlechtes,
1135. (Franz Martin/Karl-Heinz Braun, Zur Siedlungsgeschichte von
Wadgassen.
In: Einheitsgemeinde Wadgassen, Jahr der Jubiläen, 1975.) Nur
dieses
Kloster kann gemeint sein. Beide so ähnlich benannten
Klöster
sind späte Gründungen und können mit der
Zeit Didriks unmittelbar
nichts zu tun haben. Hier ist Späteres eingemischt.
Doch hat Raszmann
(II, 683 Anm.) recht, wenn er sagt: |
|
»Diese Darstellung
von
Heimirs
letzten Taten ist schwerlich ein späterer Zusatz zu Thidreks
Geschichte,
sondern hat ohne Zweifel ursprünglich dazugehört. Was
hier erzählt
wird, entspricht sehr genau dem wilden Charakter, welcher dem Heimir in
dem Vorhergehenden beigelegt wurde, so wie es auch mit dem ganzen Plan
der Saga übereinstimmt, daß der Tod aller
berühmten Berner
Helden umständlich erzählt wird.« |
Die Geschichte
»Heim im Kloster« endet in
der Ths so, daß Heim König Didrik anreizt, vom
Kloster Schatzung
zu erheben. Heim reitet in des Königs Auftrag hin, und als die
Mönche
Einspruch erheben, erschlägt er den Abt und die
Mönche, raubt
das Kloster aus und brennt es nieder. |
|
Auch
das Wedinghausener Kloster des
realgeschichtlichen Ludwig brannte nieder. Dieser Scriptor wird die
wahren
Hintergründe dieser Zerstörung
höchstwahrscheinlich gekannt
und ein Motiv zur geschichtlichen Verarbeitung in seinem Bericht
für die
Nachwelt gehabt haben. |
Der Gottes Regelwerk
schlussendlich trotzende
Heime als erpresserisch-zerstörerisch vorgehender Anti-Christ.
Wie weit ist
der solches Szenario offenbar beispielhaft schaltende Chronist oder
Historiograf von
gegenwärtigen Exempeln entfernt?
|
6 Z. B. anhand der Wilzen-Überlieferungen gegenüber
Ritter-Schaumburg geäußerte
Vorbehalte, dass die Ostland-Berichte nicht zur Vita eines historischen
Dietrich gehören dürfen,
können u.a. nach Ella Studers Untersuchungen
keineswegs plausibel gemacht werden. Weder Umpositionierungen einer
retrospektiv
übertragenen russischen Geografie/Ethnologie auf scheinbar
synonymische Sprenkel
in niederländisch-flämischen Regionen noch wiederholt
versuchte
Ostkriegparallelen aus z.B. Ottonischer Geschichtsschreibung zur
Thidrekssaga haben
deren Rytzen-Wilzen-Darstellungen eine neue überzeugendere
Aussagekraft verleihen
können. Hier geht es vielmehr um quelltextliche Berichte, die
sich mit ihren
großformatigen Schlachtdarstellungen auf den bereits von der
älteren
Forschung erkannten polnisch-westrussischen Raum beziehen
dürfen. (Insofern steht
auch das von Ritter-Schaumburg in Sigfrid…(1990)
hervorgehobene polnische Nowogard [= Naugard, vgl. S.
73]
zur Disposition.) |
|
Ella Studer über die
Wilzen-Berichte der Thidrekssaga: |
Wenn es
möglich ist, für die gleichen
Vorgänge der Saga Parallelen aus dem 10., 11. und 12. und aus
dem 12. und 13.
Jahrhundert beizubringen (Storm, Haupt, Holthausen), die doch alle
einen gewissen
Grad von Ähnlichkeit mit den betreffenden Sagastellen haben
müssen
und demzufolge auch untereinander aufweisen werden, so scheint es uns
eine
Warnung mehr zu sein, daß bei solchen Gleichstellungen
äußerste
Vorsicht geboten ist. Sie können nicht viel mehr beweisen, als
daß
die Kriege meist in einer nord- oder nordöstlichen Richtung
geführt
wurden, daß darin sich oft sehr ähnliche Situationen
ergaben,
die durch die geographische Lage und Topographie der Gegend bedingt
waren,
sowie auch durch die Art und Weise der damaligen Kriegsführung. |
Es
ist natürlich denkbar, daß der Verfasser
unserer Sagapartien, der eine gewisse Kenntnis der Gegend, wo sie sich
abgespielt haben mögen, besaß und auch, vielleicht
aus eigener
Erfahrung, Verständnis für Kriegsführung
hatte; es ist denkbar,
sagen wir, daß dieses oder jenes geschichtliche Ereignis ihm
bei
seiner Darstellung vorgeschwebt haben kann. Ein definitiver Beweis
aber,
daß ein gewisses Ereignis mehr eingewirkt habe als ein
anderes, kann
unseres Erachtens nicht erbracht werden, denn die geografischen Angaben
sind, mit einigen Ausnahmen, eher allgemeiner Art … |
|
(Russisches in der
Thidrekssaga
–
Sprache und Dichtung. Forschungen zur Sprach- und Literaturwissenschaft;
Dissertationsschrift, S. 92.)
|
7
In literarwissenschaftlich anknüpfender Programmatik begibt sich
Susanne Kramarz-Bein in eine forschungsideologische Funktionalisierung
der
Thidrekssaga. Mit jenen feinsinnig detektierten struktur- und
figurgenerischen
Grundwerten wie der Akteure Geburt, Jugend, Heirat und Tod –
den immerhin
unerlässlichen Tragpfeilern zur erzählungssophistisch
stringenten
Planung von der Helden Aufstieg, Höhepunkt und Niedergang. Mit
einer
aus dem literarischen Baukasten bemühten
Gestaltungssystematik, die das
Auf- und Abtreten ihrer Figuren gar fahrplanmäßig
reguliert.
Mit Initiationstermini, Sequenzmustern und Strukturprinzipien, die
sich – orale Tradition als Vorlage sei Dank! – nicht
zuletzt einer Mithilfe des Erzählungsmittels
der
verdeckten Handlung bedienen sollen. |
Ohne jegliches Kalkül mit einem
zumindest potenziellen realgeschichtlichen Substrat der
altwestnordischen Texte gelangt Susanne
Kramarz-Bein zu höchst fragwürdigen Perspektiven,
die einen biblischen wie nicht nur in der Thidrekssaga verankerten
Zahlenbegriff in eine fiktiv erscheinende Dimension erstrahlen lassen. Mit derartiger
Schwerpunktsetzung lässt sich ihr
historischer bzw. historiografischer
Stellenwert nach mediävalchronistischen und nicht zuletzt bis in
die Gegenwart reichenden Milieukontexten scheinbar
trefflich ignorieren. Abgesehen von einigen Faktennennungen, die mit
z.T. wenig überzeugenden Folgerungen zur Rezeptionsproblematik und
-programmatik
von Thidrekssaga und
altnordischem Sagenmaterial
hauptsächlich deren katalogisierte Handschriftenlagen
betreffen, liest
sich ihre Habilitation als entschlüsselte Anleitung zur
Synthetisierung
dieser Textzeugnisse in einer altnorwegischen Literaturfabrik,
über
deren Emissionsgrenzwerte sich allenfalls Ritter-Schaumburg und nur
wenige
fachwissenschaftliche Außenseiter Gedanken machen
müssen. |
Die durch das Ignorieren von
Quellenhistorizität und somit ohne überzeugenden
Indizienzusammenhang gelieferte Vorstellung, dass die wie auch immer
geschichtlich aufzufassenden Inhalte der Thidrekssaga auf einer eher
heldenepisch-dichterisch
suggerierten Planung und Montagearbeit beruhen sollen – so, wie
es nicht nur Kramarz-Bein
in irriger Erzählungstopologie einer oberitalienischen
Provenienz
des Dietrich-Stoffes kolportiert –, kann jedoch
nicht mit
einer beweiskräftig gegen Ritter-Schaumburg erhobenen oder
disponierbar
gemachten Prämisse etabliert werden, welche die inhaltlichen
handschriftlichen Grundwerte
der Immanenz intertextueller Verhältnisse und heldenepischer
Schablonisierungen
unterordnet. Einschließlich jener dominant hervorgehobenen
Mengenkonstellation 1+12, deren besondere wie im offenbar
kompositionellen
Gesamtbild wirkende Ausstrahlungskraft
anscheinend
sämtliche Gestaltendarstellungen und -beziehungen
irrealer
bzw. kaum zeitstimmiger Geschichtlichkeit zuführen
darf.
|
8 Eine
Ritter-Schaumburg kaum tangierende Genre-Askription aus dem
alt- und neuphilologisch unkritisch bewerteten
»Saga-Prolog«, welcher übrigens nicht in
direktem Transmissions- und
Verschriftlichungskontext mit der ältesten Handschrift steht.
Der nicht nur von ihm beispielhaft aufgezeigte
mediävalchronistische
bzw. historiografische Quellentypus der Thidrekssaga widerspricht
im Übrigen – vor allem zu ihren Kriegsberichten wie auch weiteren
genretypologischen
Kriterien – der von Forschung und Lehre beanspruchten
„Überforderung
oraler Traditionsressourcen“. |
|
8.1
Die
altwissenschaftliche
Einstufung und in der Folge forschungsinspirativ divergent
vorangetriebene Behandlung
der Thidrekssaga als scheinbar unglaubwürdige
Geschichtsvermittlung beruht
vornehmlich auf der irrigen frühen Folgerung, dass ihre
Darstellungen
historisch überzeugende Nachweise über den Auftritt eines
ostgotischen Theoderich nicht liefern. Die Thidrekssaga und mit
ihr die altschwedischen Handschriften können einem solchen
Anliegen
jedoch nicht ohne eine wirklich überzeugende Argumentation
stattgeben, weil sie vielmehr auf raumgeschichtliche Ereignisse
um einen rheinfränkischen Dietrich fixiert sind. |
Zur Quellenlage und
Edierungsgeschichte |
… setzt sich Heinrich Beck
insbesondere
über
die Tatsache hinweg, dass die altwestnordischen Schriftführer der
Thidrekssaga einer Schreibschule angehörten, die importierte
Historiografien unter dem Begriff »saga«
klassifiziert hatte …, |
so das deutsche Wikipedia
unter
seiner
„Thidrekssaga“ am 19.11.2007 mit dem Hinweis auf
textstilistische
Untersuchungen, dass |
… für die Gestaltungsweise
der
Thidrekssaga
Eigenheiten
kennzeichnend sind, die aus Chroniken, Historien und Gesten bekannt
sind
(Droege, Wisniewski). |
Wie noch
in dem dort wenig später herauszensierten
Passus weiter zu lesen war, ist |
gegenüber
Heinrich Becks Vorstellungen über
die Stoffgeschichte und Überlieferungstradition der
Thidrekssaga
ihre von Roswitha Wisniewski postulierte historische Quelle, so in Form
einer
»Chronik über Dietrich von Bern«, insofern
plausibler, als
weder ein Herbeizitieren niederdeutscher Sagamänner in
altnorwegische
Klosterstätten (Bergens klerikale Schreibstuben) nahe gelegt
werden,
noch Entsendungen dortiger geistlicher Schreiber für das
Aufsuchen
völkischer Informanten in den ursprünglichen
Handlungsräumen
der Thidrekssaga wahrscheinlich gemacht werden kann. Auch unter
Umgehung
literarkultureller Maßstäbe und Erhebungen aus der
Mediävistik,
die vielmehr gegen eine hochmittelalterliche Erstverschriftlichung
umfangreicher
volksmündlicher Tradition sprechen, hat die Kritik an Roswitha
Wisniewskis
Ludwig-These die übernehmende Beziehung zwischen den
mutmaßlichen
Klosterschreibern der Thidrekssaga und dem Wadhincúsan-Bericht
eines Verfassers, der Vermittlungsinhalte der Novaleser
Geistlichenchronik und
von vorausgegangenen Berichten der Thidrekssaga nachweislich
verarbeitet hat
(!), jedoch nicht in Frage stellen können. |
Zu
fachwissenschaftlich höchst bedenklichen
Vorstellungen, |
die
zum einen von einer altnordischen Entstehung einer
überwiegend fabulierten Thidrekssaga ausgehen und zum anderen
deren Verwendung zur Machtkonsolidierung Hákons IV. in
Erwägung
ziehen, |
so weiter in dem zur Diskussionsseite
ausgelagerten Text, wird |
auch
unter Miteinbeziehung der Forschungsstandpunkte
von Roswitha Wisniewski und Susanne Kramarz_Bein eine plausible und vor
allem
zeitgeistlicher Aufnahmebereitschaft zumutbare Antwort auf die nicht
nur
mediävalpolitische Fragestellung vermisst, warum, obwohl
Norwegen von der
Thidrekssaga übergangen wird, dessen Sagamänner in
somit
auswärtigen Handlungsräumen eingepflanzte Botschaften
weitervermittelt
haben sollen. |
Unter gewissenhafter
Berücksichtigung altnorwegischer Quellenbehandlung und -klassifizierung
von importierten geschichtlichen Überlieferungen, soweit diese
für die Thidrekssaga nicht übergangen werden dürfen, hat
ein kaum
mehr als oberflächliches
Pauschalisieren von einem ebenda verstandenen
„Saga“-Typus – so, wie es u.a. auch Heinrich
Beck in der Thidrekssaga-Diskussion
gegenüber Ritter-Schaumburg und einem scheinbar heldenepisch
einzig akzeptierten südosteuropäischen Trio aus Attila,
Ermanarich und Theoderich angeregt hat – in einer seriösen
geschichtswissenschaftlichen Sondierung, zumindest jedoch für
einen dazu möglichen Ausgangsstandpunkt, nichts zu suchen. |
8.2 Zitat
aus
Privatkorrespondenz vom 23.9.1976 zwischen Norbert Madow, Mitglied der
Zentralstelle für Personen- und Familiengeschichte des
Instituts für
Genealogie in Berlin, und Theodor Badenhausen (Bad Wildungen): |
In
der von Johann Henrich Baddenhausen (oo
1495 mit Elisabeth von Cassel) überlieferten Familienchronik
wird von einem
Henricus von Badenhausen, Sohn des Johannes von Badenhausen (act. 1238
nach H. Uhde) berichtet, der einen Ordensgeistlichen mit einem liber
Theoderici
nach Norwegen begleitet haben und von dort nicht mehr
zurückgekehrt
sein soll. Ihr Aufenthalt in der Geistlichkeit von Bergen, so noch im
gleichen
und leider einzigsten Satz über diesen Henricus, sei aber nur
für die „Dauer eines Mondes“ vereinbart
gewesen. |
Wenn man davon ausgeht,
dass
die
Festlandhandschrift Perg. Fol. nr 4. unter
Ausfüllung ihrer Lakunen
ca. 160–170 Blätter umfasst haben soll, dann konnten
– potenziell vorausgesetzt –
nur mehrere gleichzeitig arbeitende Redaktoren ein
umfangmäßig adäquates Quellenmaterial wohl
innerhalb eines (ungefähren) Monats auf die vorliegenden 129 + 2
Vorsatzblätter übertragen. Aufgrund intertextueller
Verhältnisse zu den isländischen und altschwedischen
Redaktionen bestehen nicht ausgeräumte Zweifel, ob diese
Handschrift tatsächlich die erste auf altwestnordischem Boden
„gehandelte“ Verschriftlichung der
„Saga“ verkörpern darf. Die
Verteilung eines nach
Roswitha Wisniewski schriftlichen und in nebensächlichem
Umfang mit mhd.
Kolorit verarbeiteten Quellenmaterials auf etwa fünf
Scriptoren/Editoren,
wobei eine Ausrichtung nach individueller Fähigkeit und
Arbeitsleistung
ohnehin nicht außer Acht gelassen werden sollte, mag
für eine in
engem Zeitrahmen angestrebte Ausleihung des Vorlagenmaterials sprechen. |
Aus der Aufteilung des
Vorlagenmaterials auf mehrere Schreiber, darunter ergänzende
und redigierende Eingriffe des dritten Redaktors, kann jedoch nicht
unmittelbar
ein Kompilationsprodukt gefolgert werden, wonach die Thidrekssaga etwa ein
vom »Sagaschreiber« geübtes
Bestreben zeige, seine
von allen Ecken und Enden zusammengeholten Stoffe fest in einen
[suspekten] Gesamtzusammenhang einzubinden (vgl.
Friedrich Panzers Waltharius-Studien).
|
9 Nach
den
quelltextlichen Interaktionsbezügen ist Dietrichs Onkel Ermenrik
kein ostgotischer Potentat, sondern Frankenkönig über die
Moselmetropole Roma II. Im Übrigen kann der Thidrekssaga
und altschwedischen Überlieferung nirgends eine Gleichsetzung
von Odoaker (u./o. jenem Greutungenkönig der romanischen
Amaler) mit Actio und Reactio von Thidreks/Didriks Oheim
abgewonnen werden. |
|
Das Verschieben der Thidrekssaga in ein
romanisches Sagenmilieu
z.B. auch mit jenem ostgotischen König Witichis,
der als Gefolgsmann Theoderichs des Großen gelten und
gemäß lehrwissenschaftlichem
Wunschdenken im Heldenkreis um Thidrek/Didrik
reanimiert werden soll,
erscheint ebenso wenig aussichtsreich wie z.B. der Versuch,
einen bayerischen König Ludwig mit der monarchischen
Stammfolge seiner
französischen Namensvettern verknüpfen zu
wollen. Zu den kaum plausibel zu machenden Einflüssen auch eines Sabinianus
Magnus auf die Handlungszüge
von Sifka siehe [xiii]. Wie
übrigens schon Müllenhoff (1848) angemerkt hat, könnte
man
die geonymische Wurzel von Ermenriks Ratgeber daher ebenso gut bei
den Sabalingi oder dem im
CODEX LAURESHAMENSIS erwähnten Savalinheim
vermuten.
|
10 Siehe
die Vita
von Theuderich I. zu
Historizitätsbetrachtungen unter
[xiii].
Unter Berücksichtigung erkennbar korrespondierender
Überschneidungen, darunter die ostfränkische Expansion
in den mittel- bis (an den) niederdeutschen Raum sowie später die
Konsolidierung der Treverermetropole mit hervorgehobener
Hinwendung des Königs auf christliche Wertvorstellungen,
konzentrieren sich fränkische Historiografie und die
Thidrekssaga auf zwei unterschiedliche
Altersabschnitte von Theuderich I. (Midlife–Alter)
und Dietrich (Jugend–Midlife). |
|
Mit
deutlicheren Worten aus dem Blog eines
Historikerforums (Auszug): |
|
…
Es war Theuderich I, unter dem die fränkische
Übernahme des vordem niedergermanisch-sächsischen
Soest angegangen
wurde und die er, neben seinen mitteldeutsch-thüringischen
Ambitionen,
sicher ebenso geschickt eingefädelt und z.T. miterlebt hat.
Der Vorlagenautor
der Thidrekssaga führt uns diesen Vorgang mit keinem anderen
als dem
von süddeutscher Heldendichtung aufgeschnappten
Nibelungenschicksal
vor Augen – welch schockierende Metaphrase! Zwar verlieren
nach beiden
Varianten die angerückten Gaste nur knapp gegen die
Streitmacht des
Gastgebers, jedoch weist die Thidrekssaga
zu den Susater Darstellungen absolut zutreffend darauf hin, dass
Thidrek
das fortan ausgeblutete Reich des "Attila" übernimmt. |
|
Es
war Theuderich I, der noch während
der Osterweiterung seines Frankenreiches mit einer weiteren
Großtat
die Moselmetropole Trier = Roma secunda von despotischer
Gewaltherrschaft
befreit hat. Und es sind wiederum die Thidrekssaga und altschwedische
Überlieferung, die nicht nur dieses Ereignis grundsätzlich
bestätigen,
sondern dazu auch Vorgeschichte und Hintergründe vermitteln
wollen. |
|
Zwei
Höhepunkte aus der Herrschervita
dieses Theuderich. Zwei unverkennbare Höhepunkte aus der
Thidrekssaga.
Wie unverfroren überliefern deren Verfasser oder der von einer
Germanistin
in einem Atemzug als Bibelscriptor und Geschichtsfälscher
gebranntmarkte
Epos-Urheber wirklich? … |
|
http://www.g-geschichte.de/forum/voelkerwanderung-germanen/2665-friesen-soest-6.html#post81495 [nicht
verlinkt ] |
|
Nach
verfügbaren fränkischen Quellen
wissen wir zwar nicht, warum Theuderich den Ort Trier erst um 525
– als er noch
einige hundert Kilometer südwestlich der Treverermetropole mit
massivem
militärischen Einsatz einen Reichsanspruch durchsetzen wollte
– christlich
rekonstituieren und somit auch grundlegend konsolidieren konnte. Anhand
von zuverlässig erscheinenden Quellen ist jedoch davon auszugehen,
dass sich dieser Moselort über mehrere Jahrzehnte
– zumindest von ca. Ende des 5. bis
Anfang des 6. Jhs. – in einer hier auf erheblich unruhige
innenpolitische Zustände
zurückzuführenden klerikalen Instabilität befunden haben
muss. |
|
So
sehr zu Thidreks Exil das Hildebrandslied und
die Rabenschlacht als Rezeptionsgrundlage der Thidrekssaga bemüht
werden, so wenig überzeugende Parallelen lassen sich dabei aus
der historischen Vita eines ostgotischen Theoderich aufzeigen. Oder mit
Wikipedias Worten zu
dessen Rezeption: Die Sagenbildung stellt dabei die historischen
Tatsachen
geradezu auf den Kopf …
(abgerufen 02.07.2010 unter Theoderich der Große)
– forschungsbibliografische Anmaßung über
die grundlegende Interpretation der Thidrekssaga par
excellence! Auch
die Vǫlsungasaga
überliefert im Streitgespräch
zwischen Brynhild und Gudrun als einstigen
Gebieter über Gunnars Schwager jenen Hjalprek, den
Teile der
Forschung mit der Gestalt und dem Wirkungskreis
des fränkischen Childerich (Vater von Chlodwig I.)
identifiziert haben. |
|
Genealogische
Angaben über
die Merowingerkönige des 5. Jhs. betreffen kaum mehr als vage
Vermutungen fränkischer
und ostgotischer Historiografen. Der von Gregor v. Tours
aus nebulöser Herkunft verarbeitete, durch einen kaum
minder moralisierenden Widukind von Corvey nicht unerheblich
widersprochene Kontext um Sippe und Wirken des ersten
fränkischen Theuderich wurde von der älteren
Quellenforschung wenig kritisch hinterfragt. Eugen Ewig, der die
Thidrekssaga
sicher nicht als frankengeschichtliche Forschungsquelle
herangezogen hat, vermutet die Herkunft von
Theuderichs Mutter aus einem Herrschergeschlecht im Raum Köln
(Francia 18/1, S.
49). Mit Ritter-Schaumburgs Gleichsetzung von Babilonia
als der rheinischen Colonia, welche sich (wohl samt ihrem
Einzugsbereich oder Herrschaftsgebiet) nach römischen
Überlieferungen mit keinem
prägnanteren Sündenbabel nördlich der Alpen
vergleichen und vereinbaren
lässt, liefert die Thidrekssaga die Mutter
ihrer Titelgestalt aus einer dort
wie auch zwischen Bern–Bonn und
Aachen–Varne–Bern
identifizierten Elsung-Dynastie.
Auch wenn der Part von Thidreks Vater Thetmar zu
kurz und farblos erscheint,
mit dieser Gestalt eine patriotische Interpolation eines
niederdeutschen
Vorüberlieferers vorliegen mag, kann Ewigs räumliche
und rangliche Vermutung über
Theuderichs Mutter auch insoweit wenig erschüttert
werden. (Die u.a. Theuderich I. zugeschriebenen, jedoch
literarhistorisch
und -chronologisch später begegnenden Begriffe
„Ripuarier
– ripuarisch“ sowie „Austrasier – austrasisch“
werden anderenorts gelegentlich geohistorisch rückprojizierend
verwendet, so auch der Verf. [2005–2007].)
|
Ref 3 http://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Ritter-Schaumburg#Widerspr.C3.BCche_zu_bekannten_historischen_Fakten
[abgerufen
2011, nicht verlinkt ]: Einen
erheblichen Schwachpunkt in
der ritterschen Argumentation stellt
insbesondere die Tatsache dar, dass keine der Personen der Sage in
historischen Quellen
ausgemacht werden kann und gleichzeitig keine historisch bekannte
Person in den Sagen auftaucht. |
|
Anhand
von Gegenbeispielen aus dem altwestnordischen
„SAGA-Milieu“ (beispielsweise auch aus der Karlamagnús
saga) zeigt sich einmal mehr, wie ein Wikipedia-User
zur scheinbar überzeugenden Destabilisierung
von Ritter-Schaumburg irrige Kontexte für nicht minder irrige
Wertungsstandpunkte induzieren. Insoweit steht hinter dem obigen
Zitat auch der verfehlende Versuch, Lakunen oder lückenhaft
überlieferte
Geschichtsbilder von antiquarischen und mediävalchronistischen
Textzeugnissen zu
einem Kronzeugen für unglaubwürdig einzugruppierende
Überlieferungen zu
erheben. Zur chronistisch-bibliografischen Niflungen–Nibelungen-Kritik
(unter vorzitierter
URL abgerufen 2011) erübrigt sich damit auch die Feststellung,
dass mit einem nirgends begründeten Ausschluss der Thidrekssaga
als historische Quelle – somit bereits die wiederum hinfällige
Prämisse – ein „historiografischer
Widerspruch“ zum genrekonformen (geo)ethnologischen
Gesamtindex unserer Geschichtsbücher nicht statuiert
werden kann. |
zurück zum lfd. Text
|
11 Diese
Orte nahe Zülpich, das in römischer Zeit einen wichtigen
Verkehrsknoten mit den Heeresstraßen Köln–Reims und
Köln–Trier darstellte. Die von Gregor v. Tours zu verschiedenen
Ereignissen gelieferten Bezugnahmen auf dieses Tulbiacum/Tolbiacum
dürfen als Belege für dessen strategische Bedeutung auch in
späterer Zeit aufgefasst werden. Zu der (von der Thidrekssaga dort
offenbar nicht aufgegriffenen) Alemannenschlacht, von der älteren
Forschung auf 496/497 datiert im wohl wirtschaftlich bedeutendsten Raum
der ehemaligen Germania inferior, vermerkt Eugen Ewig: Wenn
Chlodwig von seiner damaligen
Residenzstadt Soissons dem Kölner König zu Hilfe zog, musste
er die Römerstraße Köln–Reims einschlagen; es lag nahe,
daß Sigibert sich in Zülpich mit ihm vereinigte (Rheinische
Geschichte Bd. 1,2, S. 15). |
|
In raumgeschichtlicher
Erzählungsorientierung der altwestnordischen Handschriften bezieht
sich Roswitha Wisniewski nicht zuletzt aus
erzählerisch-geostrategischen Gründen zur Verortung der Niflungen-Residenz
ausschließlich auf Nordrhein-Westfalen (Habil. S. 253f.).
Darunter ihre namenkundliche Untersuchung, dass sich die Thidrekssaga
zum heimatlichen bzw. beim heutigen Zülpich gelegenen
Ausgangspunkt
des Soester Kriegszugs wohl kaum auf potenziell lateinisierte
Derivate von Worms beziehen kann. Dagegen Heinrich Beck (1993:443–444),
der in der Vorstellung einer offenbar unabdingbaren narrativen
Translozierung und insoweit auch zwecks beabsichtigter Destabilisierung
von Ritter-Schaumburg das Kunststück fertig gebracht hat, Virnich
in der Voreifel in einen stringenten etymologischen Zusammenhang mit
Worms zu bringen.
Fakt zu dieser getricksten, zumindest jedoch phlegmatischen Darstellung
von Beck ist vielmehr, dass in der ältesten Handschrift lediglich
Schreibweisen wie z.B. Vernico, Vernicv (beide zu „Vernica“)
sowie auch Verniza auftauchen
und erst Jahrhunderte später die (alt)isländischen
Texte („Handschriften A und B“) mit ihren
erkennbar abweichenden Schreibungen eine Inspiration für
Stammformverdrehungen dieser Geonyme liefern könn(t)en,
auf die sich Heinrich Beck rekurrent zum oberdeutschen Reimepik-Jargon
eingelassen hat. Johan Peringskiöld
legte noch im 18. Jh. mit
drei Manuskripten lediglich die Schreibformen Verniza,
Vernico, Vernizo, Wernico sowie lat. Vernixia, Vernicam,
Vernicum für den Niflungen-Sitz
vor. Wie von H. Beck angemerkt, haben ihm die (Peringskiöld hierzu
nicht entgegenstehenden)
Handschriften-Transkriptionen von H. Bertelsen vorgelegen. Anders dazu
jedoch die Abwägungen von R. Wisniewski, die zu den von ihr bzw.
von H. Oesterley zitierten Formderivaten
Wormatia, Warmacia, Wormaze, Warmazia
(so Oesterley) derart folgert: |
|
Aber wie sollte daraus Werniza entstanden
sein? Ohne weiteres kann das -m- in Wormatia in
-ni- verlesen sein; aber dann darf auf
das -m- kein -a- gefolgt sein und das -o- müßte
in -e- verlesen worden sein (also etwa
Wormza > Werniza). Außerdem zeigen
die Handschriften A und B Formen mit m+i: Vermintzu,
Verminnu A, Vermistu B. |
|
Demnach könnte man allenfalls
die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass im Glauben
an den auch vom Waltharius überlieferten oberrheinischen
Heldensitz die Schreiber der jüngeren AB-Handschriften eine
konsonantische Angleichung vornehmen wollten. |
|
Der Sprachwissenschaftler
Hans den Besten stellt in seiner aufsatzthematischen Bezugnahme auf das
1985 in der Soester Zeitschrift
abgedruckte Pamphlet von
Johannes Janota und Jürgen
Kühnel gegen Ritter-Schaumburg zunächst fest: |
|
Eine durchaus höflichere, aber
notwendigerweise kurze, Kritik
findet sich in Heinrich Becks "Einleitung" zu den Beiträgen zum
Arbeitskreis „Thidrekssaga" in Beck (1985:427-432). Ritter-Schaumburgs
geografische Analysen weiß Beck besser zu würdigen als
Janota c.s. [„cum suis“, Zitatanm.] Dennoch weist er die damit
verbundenen historischen Ansichten entschieden ab: |
|
"[…] einem
methodischen Grundsatz folgend, der besagt, daß nordisch
oberdeutsche Übereinstimmungen schwerer wiegen als die
Abweichungen der niederdeutschen
Quellen der Ths."
|
|
Noch abgesehen von
der Frage, wie stark diese Übereinstimmungen eigentlich sind, soll
darauf hingewiesen werden, daß dieser "methodischer Grundsatz"
überhaupt kein Argument in der Kritik bilden kann. Dieser
Grundsatz betrifft eine Methode, und bildet damit eine Arbeitshypothese
[…] Mit Methodologie hat Becks "methodischer Grundsatz" also nichts
zu tun. |
|
Hans den Besten, Bemerkungen zu
einer Kritik. Johannes Jonata u.a. zu
Ritter-Schaumburgs ‘Die Nibelungen zogen nordwärts’, in: Amsterdamer
Beiträge
zur Älteren Germanistik, 33, 1991, S.
117–130, s. S. 119, Fußnote 1. |
|
Es mag durchaus nachvollziehbar
erscheinen, dass H. den Besten postmodernistisch zu identifizierende
Gestaltungselemente in den hochmittelalterlichen Texten als ein
angebliches Beweismittel für eine im Wesentlichen unwahre
historiografische
Vermittlung – und insoweit gegen Ritter-Schaumburg – schlicht bei Seite
lassen konnte. Kontextuell scheint vielmehr bemerkenswert, dass
Heinrich Beck diese 1991 erschienene
Veröffentlichung lediglich textkritisch
zu Ritter-Schaumburgs Lokalisierung des Nifllungensitzes anführt,
jedoch diese unter redigierender Mitwirkung von Roswitha Wisniewski
verfasste und umfänglich auch forschungsmethodische Gesichtspunkte
berührende Thematisierung von H. den Besten nicht weiter
aufgreift.
Fakt ist andererseits auch, dass der Linguist den Besten aus
oberdeutschem Reimjargon stammende oder damit altbibliografisch eng
verknüpfte Geonyme nicht – wie es dagegen H. Beck unter anderem
weiter versucht (1993:444f.) – ansatzbedingt in eine
höchst fragliche etymologisch-hierarchische Synopsis
mit altwestnordischer Transmission gestellt hat. In seinem 1994
erschienenen
Beitrag Saxland =
Húnaland? erweist Beck eine zweifellos sehr signifikante
interliterarische Konnektivität von Húnaland mit
einem die
Nordsee säumenden, offenbar weitläufigen
niederdeutschen Raum und folgert – gleichwohl mit unannehmbarer
Konjektur
hinsichtlich einer ereignishistorisch jedoch nicht belegbaren
Translozierungsforderung –, dass die ebenda aus ihrem Sitz Vernica
erschienenen Nifungen nur im oberrheinischen Worms beheimatet
sein können; vgl. S. 527 in: Iconologia sacra, hrsg. Hagen
Keller, Nikolaus Staubach, Bd. 23 (S. 519–528).
|
12 Im Gegensatz zu nicht
überzeugenden kollegialen Einsprüchen hat Roswitha Wisniewski
am Beispiel der Niflungen-Berichte
aufgezeigt, dass der auf eine
importierte
Gelehrtenfassung zurückzuführende Vermittlungstypus
der Thidrekssaga
einerseits nicht in der Hauptsache an den Genre-Maßstäben
höfisch daherfabulierender
Rittersagas gemessen werden kann und andererseits auch nicht auf ihre
grundsätzliche Abhängigkeit vom Nibelungenlied
geschlossen
werden darf. Daher können deren geografische Wertvorstellungen
weder
sinnvoll sondiert noch pauschalisiert auf die Thidrekssaga
übertragen
werden. Schon aus solchem Zusammenhang ist es nach hinreichend zu
berücksichtigenden stoffanalytischen Differenzierungskriterien
nicht
möglich, eine gegenüber Ritter-Schaumburg
schlüssigere narrative Raumprojektion aus ihren Textzeugnissen
plausibel
zu machen. Wenn er aus dem
Quelltext jenen Passus über die Niflungen
zitiert, die eben dort
angelangt waren, wo „Duna und Rhein
zusammentreffen“, so wird man schwerlich
überzeugend Gegenteiliges zu seiner Folgerung
anführen
können, dass die Nennung dieses Punktes genaue
Kenntnis der
Gegend in früher Zeit beweist und alle Angaben der
Thidrekssaga dazu
stimmen. Somit ist auch in diesem geostrategisch
nachvollziehbaren Rahmen
Ritter-Schaumburgs Verortung des Niflungen-Sitzes
derivativ-homonymisch
begreifbar. |
|
Die beiden
Literaturwissenschaftlern hierzu folgende
Forschung hat vielmehr erkannt, dass die subtile Abhängigkeit
des
Nibelungenliedes von den Vermittlungsinhalten der Thidrekssaga keinen
glaubwürdig
vertretbaren Parallelschluss nach lehrsatzartig versuchten
Gleichbehandlungen ihrer
divergierenden geografischen Vorstellungen gestattet. Die
Unmöglichkeit eines
historisch glaubhaften Raumbildes der süddeutschen Heldendichtung
erlaubt demnach
nicht grundsätzlich systematisch-methodisch unifizierende
Übertragungen auf
die Thidrekssaga. |
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Eine dazu nirgends erwiesene
historiografisch-systematische „Translozierung und Stoffaneignung“
(vgl. u.a. Heinrich Becks offensichtliche Inschutznahme altphilologisch
zementierter
Stoffauffassungen) nicht thematisierend folgert z.B. der Historiker
Ernst F.
Jung
zum grundsätzlichen literarischen
Selbstverständnis beider Überlieferungen, dass die Niflungasaga
(sowie andere Teile der
Thidrekssaga) als Chronik in NRW und
das Nibelungenlied als Spiel dichterischer Phantasie zwischen
Süddeutschland und Ungarn aufzufassen sind. |
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13 Behauptungen, die altschwedischen Überlieferungen
verkörperten ein stringent detektierbares Plagiat der
Thidrekssaga, will Ritter-Schaumburg mit exemplarischen Textanalysen
widersprochen haben. So z.B. mit Sv 161 : Mb 169, wobei der
altschwedische Text dreihebige Amphibracchen tradiert, die Thidrekssaga
zur inhaltlichen Vermittlung dagegen lediglich dumpfe Prosa bietet. |
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Die stemmatologischen Aspekte aufgrund
von scheinbar
„sehr verschiedenen“ literargenerischen Vorlagenverhältnissen
dürften jedoch für die Historizitätsforschung einen
weniger erheblichen als den hierzu von Ritter-Schaumburg reklamierten
Stellenwert ausmachen.
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14
Nach verfügbaren Aufzeichnungen über den
Prämonstratenser-Orden im mittelalterlichen Westfalen
erscheint selbst diese Unterstellung von
zielorientiertem Anpassungsbestreben wenig aussichtsreich; siehe dazu
u.a. [v].
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15
Einen kaum minder geringeren Anspruch auf
historische bzw. historiografische Wahrscheinlichkeit hat die nicht
überzeugende
Folgerung, dass ein mittelalterlicher Scriptor – sei er in
Altnorwegen oder
der Vorüberlieferer eines vielmehr schriftlichen
Großwerks „nach oraler Tradition“ – gerade
solchen lateinischen
oder lateinisierten Terminus missverstanden und zu einem Gransport
oder den dazu bekannten abweichenden Lesarten umgeschrieben haben
sollte.
Vielmehr ist den Handschriften der Thidrekssaga und altschwedischen
„Dietrich-Chronik“ nirgends eine Hafenschlacht zu entnehmen, sondern
– wie die
Darstellungen der Schlachtvorbereitungen und die Heeresaufstellungen
der
gegnerischen Parteien eindeutig erkennen lassen – eine
Landschlacht an einem
Gewässer, das nach orografischen Verhältnissen sowie
dazu
lokalgeschichtlich bekannten saisonalen Flussregimes im
Rhein-Moselmündungsbereich sehr wohl in der Grundbedeutung und
Größenordnung von sjö–siö–sö verstanden
werden darf. Ebenso
darf nicht ausgeschlossen
werden, dass sich in Mündungsnähe ein z.B. von einem
toten Flussarm gebildetes Gewässer
(„Flusssee“) befunden
haben könnte. |
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Im
gesamten Gransport-Bericht der
altschwedischen „Dietrich-Chronik“ sowie in den Schlachtdarstellungen
der
ältesten
Handschrift ist nirgends von Ravenna bzw. seiner wenigstens noch
erkennbar verschliffenen
Übertragung die Rede. Unter der Bedeutung „grandis
portus“ ist lediglich
eine große oder wichtige Hafenanlage zu verstehen. Dieser
Terminus
ist also geografisch ungebunden. Insoweit ist eine erzwingende, nur auf
einen
bestimmten Ort bezogene Übertragung völlig absurd.
Siehe dagegen
Ritter-Schaumburg: Dietrich von Bern, 1982, S. 223–237, 300
(Endnote 100). |
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Zum Kontext eines
scheinbaren
ostgotischen Raumkolorits – am Beispiel der Gransport-
Berichte in den Handschriften – der unten gelistete
Verfasserbeitrag [iv].
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16
Das konzeptionelle Substrat des Hildebrandsliedes ist die aus
mutmaßlich unterschiedlichen Stoffkreisen
geformte dichterische Verbindung eines offensichtlich fiktiven
ostgotischen Großkönigs Theoderich mit dem
namhaftesten Gefolgsmann aus dem Milieu eines rheinfränkischen
Dietrich,
über den die Thidrekssaga und altschwedische „Dietrich-Chronik“
berichten. Ein literarhistorisch haltbarer Beleg für
Theoderichs Heerführer Ibba
als Kurzform oder Kosename von Hildebrand, soweit von nicht mehr als
forschungswissenschaftlichem Wunschdenken herbeigesehnt, ist nirgends
greifbar.
Erheblich mehr Anspruch auf Wahrscheinlichkeit hat eine diese
Problematik
klärende und keineswegs auf ostgotischen Kontext
beschränkte
frühe Hildebrand-Tradition, die in späterer Zeit bzw.
nach Abfassung
der ältesten Liedhandschrift verloren ging. (Der
Frankenhistoriograf
Gregor von Tours überliefert einen offenbar
vertrauenswürdigen Gefolgsmann bzw.
Truppenführer „dux“ Hilpingus–Hildingus des
Frankenkönigs Theuderich I.) |
|
Die
vom Lieddichter projizierte
ostgotisch-hunnische Beziehung korreliert nicht mit bekannten
realgeschichtlichen
Zusammenhängen. Zwar schreibt er die Vertreibung von
Hildebrand und
seinem Gebieter Theoderichs historischem Gegenspieler Odoaker zu,
jedoch
widerspricht dessen geschichtliche Vita dem
altwestnordisch fixierten
Profil
von Dietrichs Oheim Ermenrik bzw. dessen Ratgeber. Die Flucht von
Hildebrand,
der als alter Hun mit Herkunft aus dem Hünenland
(Niedergermanien) gedeutet werden darf, erfolgt nach Ritter-Schaumburgs
Auslegung der Thidrekssaga und deren Geografie übereinstimmend
in Richtung
Osten. |
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Es
ist weder Aufgabe noch Selbstzweck einer
quellentypologisch übergreifenden
Historizitätsforschung,
eine episch gerahmte und insofern mediävalliterarisch
keineswegs
unübliche Prosachronik (vgl. altschw. Handschriften) der
Vermittlungswertigkeit von Reimepik leichtfertig unterzuordnen.
Besondere Beachtung aus intertextuellen und hier nur mit
größter
Vorsicht anzustellenden Vergleichen, zu konkreten gestaltenspezifischen
Beschreibungen vor allem den Quellenwert einer gemeinsamen Vorlage
betreffend,
verdienen konvergierende Detailelemente aus analogen
Erzählungstopoi,
siehe u.a. d. Verf. zum Waltharius.
|
17
Nach der bereits seinem Täufer Remigius
angeblich aufgefallenen schwereren Hauterkrankung (dazu insb. Raymond
Van Dam 1993:97) wird der Tod
des machtexpansivsten Frühmerowingers Chlodwig I. trotz
unübersehbarer quellenchronologischer Diskrepanzen auf „511/512“
zementiert; siehe zur
Datierungsproblematik insb. Ian N. Wood, Gregory
of Tours and Clovis in: Revue belge de philologie et d’histoire 63
(2) 1985, S. 254–255.
Zu dem von Ritter-Schaumburg aufgezeigten raumzeitgeschichtlichen
Bereich
des Thidrek stellt sich damit u.a. die Frage, wer noch zu
Chlodwigs Lebzeiten jenen
wichtigen großrheinischen Bereich in exekutiver Mission und
Funktion
überwachte, den er zur Beseitigung des bei Köln
sitzenden
Stammesführers Sigibert „den Alten“
(„Lahmen“) sogar persönlich aufgesucht haben soll. Da trotz
Gregors bemerkenswertem Fokus auf die Vita Chlodwigs dessen
Auftritte östlich der Maas jedoch nur
äußerst selten
überliefert werden, ist keineswegs ausgeschlossen, dass sein
ostfränkischer Reichserbe Theuderich I. bereits im
späten 5. Jh.
als oberster Interessenvertreter für Territorialbereiche
zwischen Maas
und Rhein zuständig war. Mit einer zweifellos chronistischen
Anmerkung lokalisiert Gregor diesen ersten
fränkischen Theuderich (näherungsweise um 525) in der
Kölner aula regia, wo er eine aufgebrachte Volksmenge
besänftigt haben
soll [xiv].
Die Forderung nach
einem neben ihm raum- und zeitgleich existenten, kaum minder
mächtigen
und dazu namensgleichen Territorialherrscher
liegt sicherlich außerhalb jeglicher Plausibilität! |
|
Die Identifizierung des
von
Gregor leidlich umrissenen fränkischen wie auch rheinfränkischen
Theuderich I. als König eines Herrscherbereichs auch
über Bonn
lässt sich zum inhaltlichen Gesamtkontext
der Thidrekssaga jedoch
nicht entscheidend gegen Ritter-Schaumburgs Gesamterkenntnisse sowie
eine längst vor dem 13. Jh. bekannte und nicht nur von ihm lokal
aufgegriffene und kombinierte Herrscherapposition
verwenden. (Gottfried Hagen: by Bunna dat heisz man
dô Berne.) Dazu aus einer anderen Perspektive der Verf.
2007:346–348. |
|
Zu den
ältesten Zeugnissen über die
Gleichsetzung Bonna/Bunna = Verona
zählt offenbar eine von Erzbischof Folkmar (965–969) für die
Kölner Abteikirche
St. Pantaleon gestiftete Altartafel;
vgl. Ingo Runde: Xanten
im frühen und hohen Mittelalter…
S. 197 Fn. 593. (Im Gegensatz zu anderen Autoren verzichtet Runde
auf jene apodiktische
Schlussziehung, die in scheinbar einzig möglicher Folgerung
Bonn als rheinisches Verona aus einer kirchengeschichtlich
unterstellten etymologischen
Entwicklung des in klerikalhistorischem Schrifttum bedachten Xantener
Birten festschreiben will.) |
|
In
einem recht kurzen bibliografischen
Anlauf, den ostgotischen vom fränkischen Dietrich
u.a. anhand von
Gottfried Hagens Reimchronik über Köln zu trennen,
wagt bereits Franz
Joseph Mone in seinen Untersuchungen zur Geschichte der
teutschen Heldensage auf Seite 67 zu behaupten: |
|
Also
Bonn soll früher Bern geheißen
haben und führt auch noch auf dem alten Stadtsiegel den Namen Verona
… da jedoch das Ansehen der Heldenlieder zu groß war, um
die niederrheinische
Sage gegen sie geltend zu machen, so lag die Erklärung sehr
nah, Bonn
müsse ehemals auch Bern geheißen haben. Das war eine
schüchterne
Wahrung des Eigenthums, die bei der herrschenden hochteutschen Dichtung
spurlos verklang. Ich nehme keinen Anstand, das ursprüngliche
Verhältnis
wieder hervor zu heben und zu behaupten, daß Bern in den
meisten Fällen,
wo es mit der Nibelungen-Sage in Verbindung steht, eine Verfälschung
hochteutscher Dichter ist, und
die
niederrheinische Sage von
Bonn verdrängt hat. |
|
Dazu erneut Mone im Anzeiger
für
Kunde der teutschen Vorzeit, 1836; S. 418. Rezensierend Laurenz
Lersch: Verona in Jahrbücher des Vereins von
Alterthumsfreunden, 1842, I, S. 3–4. |
|
Vor Ritter-Schaumburg lokalisierte Mone
den Heimatbereich
der Nibelungen zwischen Neffel, Gillbach und dem von Gregor v. Tours
erwähnten Nivisium (vgl. a.a.O. S. 28f.). Gottfried
Hagen bezieht sich in seinem Werk mehrmals
auf Dederich van Berne bzw. Dederige van
Berne, Dederich der Wise,
siehe u.a. Zeilen 3684, 4132, 4754, 5004, 5685. |
|
Einer
seriösen Literaturforschung dürfte es wohl kaum gelingen,
diese grundsätzlichen Positionen von Mone,
Ritter-Schaumburg wie auch anderen Forschern (vgl. u.a. Karl Simrock)
mit
einem von
oberdeutscher Reimdichtung und Heldenepik gesponnenen
Ostgotenmythos zu falsifizieren. Und insoweit sicher auch nicht mit gar
romanisch angehauchten Theoderich-Interpretationen im
Kölner Chronik-Epos des offenbar evidenten Stadtschreibers clericus
coloniensis.
|
18
Vgl. Florian Kragl [hg. 2012] zu den Buchveröffentlichungen des
Verfassers, der sich für den Fall einer bezugfähigen
Darstellung von Kragls Rezensentin u.a. Zitate aus Hanswilhelm Haefs'
vergleichenden Studien über Thidrekssaga und Nibelungenlied
vorbehalten hätte.
|
19
Nachvollziehbare Thidrekssaga-Forschung hat aufgezeigt, dass
Ritter-Schaumburg
die Widerlegung der nicht nur von ihm aufgezeigten
rheinfränkischen,
ostrheinischen und baltischen Geschichte des 5. und 6. Jhs.
für eine
historiografische Berichtgebung der Thidrekssaga fordern
darf.
Die gegen ihn massiv opponierende Lehrauffassung hat und wird nicht
plausibel begründen können, warum sie die Berichte bzw.
Kernerzählungen
der Thidrekssaga zur Dichtung bzw. unglaubwürdigen mediävalen
Historiografie über gar ostgotisch-fiktive Mileuverhältnisse
erhoben hat. |
|
Unvoreingenommene
Betrachtungen der Thidrekssaga
und altschwedischen „Dietrich-Chronik“ haben sich auf eine
gattungskonforme
Behandlung als ein zu deren Kernerzählungen im wesentlichen noch
zeitkohärentes Geschichtswerk oder anderenfalls
pseudogeschichtliches
Epos zu beziehen, wobei die letztgenannte Variante sich nach dem
erzähltypologischen Selbstverständnis uns vorliegender
antiker und mittelalterlicher
Historien und Chroniken jedoch nicht etablieren lässt. Da aber
„Forschung und Lehre“ schon wegen ihrer
höchst zweifelhaften forschungsbibliografischen Verpflichtung
beiden Überlieferungsvarianten kaum mehr aufzählbare
Rezeptionsmuster aus
diversen reim-, heldenepischen und historischen Kontexten
untergeschoben haben,
erledigt sich ein germanistisch-nordistischer Gedanke an
gattungsliterarisch und
quellenstemmatologisch vertretbare
Verhältnismäßigkeit zu
textanalytischen Kontexten offenbar von selbst. Die Annahme,
enzyklopädische
Mutmaßung oder Festschreibung, das Ausgangsmaterial der
Thidrekssaga gründete sich auf die
(bevorzugte)
Verwendung von Heldensage und Heldenliedern, schließt
verschollene
chronistische Überlieferungen im Vorlagenbestand jener
Handschriften
kategorisch aus und muss daher – wegen inhärenter
konformer Quellengattung
und daher in einen Kontext zu stellender zeitgeschichtlicher
Berichte – als unangemessener
Pauschalschluss zurückgewiesen werden. Wie auch die
mittelalterliche
Chronistikforschung erkennen lässt, ist nach den vorliegenden und
z.T. erheblich tendenziellen Geschichtsüberlieferungen
fränkischer und ostgotischer Autoren
die Widerlegung
von Kerninhalten der Thidrekssaga nicht möglich, darunter
z.B. der
Aufstieg einer von „Samson“ begründeten
rheinfränkischen
Herrscherlinie, Dietrichs Vertreibung und seine Exilunternehmungen, Gransport,
die Vilkina- und (m.E.) Niflungen-Berichte
sowie
Darstellungen über den Großteil von König
Dietrichs
Gefolgsleuten. |
|
Vielmehr übermittelt die
Thidrekssaga mit den von ihr angegebenen Gestaltenbezeichnungen,
machtpolitischen Erfolgen, Umbrüchen und Konsolidierungen aus der
Dynastie ihrer Titelgestalt unter anderem die Ablösung der letzten
römischen
Usurpation durch den wohl maßgeblich frühmerowingisch
bewirkten
Frankenaufstieg im Rheinmoselraum
in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts, und sie begibt sich
dabei
nicht in gravierende Widersprüche zur fragmentarischen, teils
unsicheren, teils subtilen fränkischen Geschichtsschreibung des
Gregor
von Tours.
Insoweit können die Thidrekssaga und mit ihr die altschwedischen
Textzeugnisse anhand narrativer und narratologischer Wertungskriterien
für
mediävalhistoriografische Topoi längst
nicht mehr als Rätsel- oder Glaubensfrage pauschalisiert werden. |
|
Zu den zweifellos hervorstechendsten
und dazu mit ausnehmend chronistischer Bezeugung übermittelten
Höhepunkten der Thidrekssaga zählt der mit dem
Niflungenuntergang verbundene Auftritt und neu gewandelte
Herrschertopos des Titelprotagonisten im Soester bzw. niederdeutschen
Raum. Im Kontext der im 6. Jh. nach Chlodwig I.
erfolgenden Frankenexpansion haben
wir hier – nach R. Wisniewski von
einem dort ansässigen Chronisten und maßgeblichen Verfasser
der Großvorlage der Thidrekssaga – die kaum zu übersehende
erzählungsgeschichtliche Rezeption der von Theuderich I.
mit mutmaßlich sächsischer Unterstützung (vgl.
regionale Historiografie zum Thüringerkrieg) vorangetriebenen
Territorialausdehnung auf weitere
bzw. auch entferntere rechtsrheinische Bereiche. Diesem Kleriker wird
man
anhand seiner
lokalgeschichtlichen
Überlieferung sicher nicht zum Vorwurf machen können,
dass die vom Soester Bürgermeister H. ten Doornkaat Koolman
(Soest die Stätte des Nibelungenunterganges?)
zitierend aufgegriffenen Lokalfunde an Wagenladungen von
Menschenknochen
nicht auf Stimmigkeiten/Widersprüche zu den Schlachtdarstellungen
untersucht und datiert wurden, vgl. Ritter-Schaumburg 1981:197. |
|
Mit den Berichten Gregors
historiografisch harmonierend folgt als
weiterer erzähltypologischer Höhepunkt für die
Titelgestalt
der zur Debatte stehenden Handschriften die bekehrend
christlich unterlegte Darstellung von Theuderichs
Konsolidierung der vordem unter auffallend instabilen
klerikalen und daraus schließend auch innenpolitisch wirren
Verhältnissen regierten Moselmetropole. Der zum historischen
Aktionspotenzial und Territorialbereich
dieses Theuderich, zur frankorömischen Politik und deren
raumperspektivisch nicht lückenlosen Geschichtsüberlieferung
nicht
widersprüchliche und insoweit kompatible Vermittlungstopos
aus „actio et imprimis reactio“ ist
Theuderichs/Dietrichs wirkungsvoller Auftritt unmittelbar gegen oder
nach dem Ende der von seinem
ostgotischen Namensvetter verfolgten und bis zuletzt
militärisch wie politisch nachhaltig durchgesetzten „Pax Gothica“
–
vgl. dazu die u.a. mit anachronistischen romanischen
Rezeptionsmustern gestaltende „Dietrichdichtung“. |
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Ritter-Schaumburg hat
den Überlieferungen der Thidrekssaga
ein nicht dominantes, aus der vermittelnden Projektion eines
mittelalterlichen
Chronisten dessen aufschwellendes Kolorit von Heldenepik
gegenüber einer
gleichwohl von ihm per Testimonium oder literartypisch adäquat
gekennzeichneten Grundsubstanz zugebilligt. Zu den oberdeutschen und
somit auch liedepischen Figurenabbildungen aufgreifenden Niflungen-Berichten
der Verf. ergänzend 2007:136f.,148f. Gerade in diesem Kontext ist
für das um kunstvolle erzählerische Vollendung bemühte
mediävalchronistische/-historiografische Metier nun überhaupt
nicht
ausgeschlossen –
aus der Sicht Ritter-Schaumburgs vielmehr davon auszugehen –,
dass der
niederdeutsche bzw. Wedinghausener Quellenlieferant einen anderenorts
erkennbar
verzerrend ausgestalteten archaischen Traditionskomplex kompilativ in
dessen
raumoriginäres Milieu zurückholte. |
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Dagegen lassen alt-
und neuphilologische Vorstellungen
über die Thidrekssaga als nicht belastbare
historische Quelle
eine Bemessungs- und Beurteilungssystematik erkennen, die wegen Fehlens
vergleichstauglich verlangter historischer Berichte und
somit zur Diskreditierung oder Ablehnung der hier zur Debatte stehenden
Texte vielmehr oberdeutsche Reimdichtung, Dietrichepik
sowie eddische Heldenlieder als entscheidende Gradmesser zur
Zerschlagung chronistischer Quellentypologie beansprucht
und dazu altnordische SAGA-Betitelung und
deren inhaltlich und chronologisch umstrittenen „Prologus“ zu
Kronzeugen erhebt. Gegenüber den nicht
nur von Ritter-Schaumburg aufgezeigten Perspektiven handelt es sich
hierbei um längst programmatisch gepflegte Prozedere, die
zu den verfügbaren Geschichtsbildern über das 5.–6. Jh. ein
Mindestmaß an hinreichend seriösem Quellenumgang vermissen
lassen. |
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